Die Mayfair-Hexen
er war unglaublich traurig und außerstande, die große Erleichterung zu genießen, die er eigentlich hätte empfinden müssen. Für einen Moment wanderte sein Blick hinüber zu Rowan, und auch sie schien in Trauer versunken, darin eingehüllt wie in einen Schleier. Sie lehnte mit verschränkten Händen sehr aufrecht am Treppengeländer, und ihr Blick folgte der tanzenden Gestalt, die angefangen hatte, eine erkennbare Melodie zu summen, eine, die Michael kannte und liebte.
Dann hatte Michael die Geräte entdeckt – modernes Stereozubehör, dessen Design wie eine beinahe mystische Technik anmutete: Hunderte von winzigen Digitalanzeigen und Knöpfen, und Drähte, die sich in alle Himmelsrichtungen zu Lautsprechern schlängelten, die in unregelmäßigen Abständen an der Wand hingen.
Er bückte sich und versuchte den Titel zu lesen, der auf der Kassette im Tapedeck stand.
»Es ist das, was sie hören will«, sagte Stuart und starrte unbeirrt die Frau an. »Lassen Sie es nur laufen. Sie spielt es die ganze Zeit. Es ist ihre Musik.«
»Tanzt mit uns«, sagte Tessa. »Wollt ihr nicht mit uns tanzen?« Sie ging zu Ash, und diesmal konnte er ihr nicht widerstehen. Er faßte ihre Hände und nahm sie dann in seine Arme, wie ein Mann eine Frau wohl zu einem Walzer in die Arme nimmt, in einer modernen, intimen Haltung.
Michael drückte auf den Knopf.
Die Musik begann leise, das Vibrieren von langsam gezupften Baßsaiten floß aus den Lautsprechern; dann kamen die Trompeten, glatt und glänzend über den schimmernden Tönen eines Cembalo stiegen sie in derselben melodischen Reihe von Tönen herab und übernahmen dann die Führung, so daß die Streicher folgen mußten.
Sofort führte Ash seine Partnerin mit großen, anmutigen Schritten in einen sanften Kreis.
Es war der Kanon von Pachelbel, Michael erkannte es sofort, gespielt, wie er ihn noch nie gespielt gehört hatte, in einer meisterlichen Wiedergabe, mit dem vollen Bläsersatz, wie ihn der Komponist vielleicht gedacht hatte.
Hatte es je klagendere Töne in der Musik gegeben, irgend etwas, das sich der Romantik so vorbehaltlos hingab? Die Musik schwoll an, ließ die Beschränkungen des Barock hinter sich; Trompeten, Streicher und Cembalo sangen ihre einander überlagernden Melodien mit einer herzzerreißenden Fülle, so daß die Musik zeitlos klang, ganz und gar aus dem Herzen kommend.
Sie trieb das Paar vor sich her; die beiden hatten die Köpfe leicht geneigt, und ihre großen Schritte waren anmutig und langsam und in perfektem Gleichtakt mit den Instrumenten. Ash lächelte jetzt ebenso wie Tessa. Und als das Tempo schneller wurde, als die Trompeten ihre Noten gefühlvoll und mit vollkommener Beherrschung zu trillern begannen, als die einzelnen Stimmen sich prachtvoll zum Augenblick des größten Jubels vereinten, tanzten sie schneller und immer schneller. Ash schwenkte Tessa beinahe spielerisch umher, in immer kühneren Kreisen. Ihr Rock wehte frei um sie herum, ihre kleinen Füße drehten sich mit vollkommener Anmut, Absätze klapperten leise auf dem Holzboden, und ihr Lächeln war strahlender denn je.
Und noch ein anderer Klang schmolz in diesen Tanz hinein – denn wenn der Kanon so gespielt wurde, war er ohne Zweifel ein Tanz -, und allmählich erkannte Michael, daß es Ash war, der sang. Keine Worte, nur ein süßes Summen mit offenem Mund, in das Tessa rasch einfiel, und ihre makellosen Stimmen erhoben sich über die dunkel glänzenden Trompeten, reisten mühelos durch die Crescendi, und als sie sich jetzt mit kerzengeradem Rücken immer schneller drehte, war es fast, als lachten sie in ihrer scheinbar reinen Glückseligkeit.
Rowans Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, während sie die beiden beobachtete, den großen, königlichen Mann und die geschmeidige, anmutige Feenkönigin, und ebenso die Augen des alten Mannes, der sich an die Armlehnen seines Stuhls klammerte, als sei er am Ende seiner Kräfte angelangt.
Yuri wirkte innerlich zerrissen; er sah aus, als werde er bald die Beherrschung über sich verlieren. Aber er blieb regungslos an die Wand gelehnt stehen und schaute zu.
Ashs Blick war jetzt verspielt und anbetungsvoll, als er den Kopf wiegte, immer hemmungsloser umherschwang und sich schneller und schneller bewegte.
Sie tanzten immer weiter, kreisten zusammen am Rande des Lichtscheins, in den Schatten und wieder ins Helle, und sie sangen einander ihre Serenade. Tessas Gesicht war begeistert wie das eines kleinen Mädchens, dem sein
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