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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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vollstrecken.
    »Sie wissen noch gar nichts«, erklärte Gordon plötzlich. »Tessas Erzählungen, ihre Geschichte, die Tonbandaufnahmen, die ich gemacht habe. Nur ich weiß, wo sie sind.«
    Ash schaute ihn nur an. Seine Augen waren schmal geworden, und seine Stirn war gefurcht.
    Gordon drehte sich um und schaute hin und her.
    »Hier!« rief er. »Ich habe noch etwas Wichtiges, was ich Ihnen freiwillig zeigen werde!«
    Mit einem Satz war er beim Schrank, und als er sich umdrehte, hielt er eine Pistole in beiden Händen. Er zielte erst auf Ash, dann auf Yuri und schließlich auf Rowan und Michael.
    »Das kann Ihr Tod sein!« rief Gordon. »Hexen, Taltos, alle. Eine Kugel ins Herz, und jeder von Ihnen ist so tot wie ein gewöhnlicher Mensch!«
    »Sie können uns nicht alle erschießen«, sagte Yuri und schob sich langsam um den Tisch herum.
    »Wagen Sie es nicht! Ich schieße!« schrie Gordon.
    Mit einem schnellen Schritt hatte Ash die Lücke zwischen sich und dem Mann geschlossen. Gordon fuhr herum und spannte den Hahn. Ash erstarrte nicht, aber die Pistole ging auch nicht los.
    Mit einer Grimasse richtete Gordon die Mündung auf seine eigene Brust; er zog die Schultern hoch, und seine freie Hand öffnete und schloß sich. »Gott im Himmel!« keuchte er. Die Pistole fiel klappernd auf die Dielen.
    »Du!« fauchte er und funkelte Rowan an. »Du Hexe! Mayfair-Hexe! Ich wußte, daß du dazwischenkommen würdest! Ich hab’s den anderen gesagt. Ich wußte es…« Er krümmte sich zusammen, schloß die Augen und taumelte gegen den Schrank. Es sah aus, als werde er vornüberfallen, aber dann rutschte er am Schrank entlang zu Boden. Mit der rechten Hand stemmte er sich vergebens gegen die Dielen, als wolle er sich noch einmal aufrichten. Dann wurde sein Körper schlaff, seine Lider senkten sich halb über die Augäpfel, und die Augen bekamen den stumpfen Blick des Todes.
    Dann lag er da, mit beiläufiger, schmutziger Endgültigkeit…
    Rowan stand wie zuvor, nichts ließ erkennen, daß sie das Geschehene verursacht hatte. Aber das hatte sie – Yuri wußte es, und er sah, daß Michael es auch wußte. Er sah es an der Art, wie Michael sie anschaute, in seinem Blick lag kein Urteil, sondern stille Ehrfurcht. Dann seufzte er, zog sein Taschentuch hervor und wischte sich das Gesicht ab.
    Er wandte dem Toten den Rücken zu und trat kopfschüttelnd in den Schatten neben dem Fenster.
    Rowan stand nur da; sie hatte die Arme verschränkt und schaute Gordon an.
    Vielleicht, dachte Yuri, sieht sie etwas, das wir nicht sehen. Sie spürt etwas, das wir nicht spüren können.
    Aber im Grunde kam es darauf nicht an. Der Bastard war tot. Und zum ersten Mal konnte Yuri frei atmen. Er konnte einen langen, erleichterten Seufzer tun, der ganz anders klang als das betrübte Wispern, das gerade von Michael gekommen war.
    Er ist tot, Aaron. Er ist tot. Und die Ältesten waren nicht seine Komplizen gewesen. Sie würden ganz sicher herausfinden, wer seine Gehilfen gewesen waren, wenn es diese stolzen jungen Novizen waren.
    Für Yuri stand es so gut wie fest, daß die beiden jungen Männer – Marklin George und Tommy Monohan – schuldig waren. Ja, der ganze Plan schien ihm das Werk junger Leute gewesen zu sein, unbedacht, skrupellos und sinnlos. Vielleicht hatte das alles wirklich die Vorstellungskraft des alten Mannes überstiegen.
    Niemand rührte sich, niemand sprach. Sie standen alle nur da und erwiesen dem Toten womöglich irgendeine düstere Ehrerbietung. Yuri wollte Erleichterung fühlen, aber er spürte sie nicht.
    Dann ging Ash auf Rowan zu, bedächtig und formell. Er berührte ihre Arme leicht mit seinen langen Fingern und beugte sich herunter, um sie auf beide Wangen zu küssen. Sie hob den Kopf und schaute ihm in die Augen, als habe sie geträumt, und sie machte ein so unglückliches Gesicht, wie Yuri es noch nie gesehen hatte.
    Ash trat zurück und wandte sich Yuri zu. Er wartete stumm. Alle warteten. Was gab es zu sagen? Was war jetzt zu tun?
    Yuri versuchte einen Plan zu fassen, aber es war ganz unmöglich.
    »Wollen Sie jetzt heimgehen, zum Orden?« fragte Ash schließlich.
    »Ja«, sagte Yuri und nickte schnell. »Ich kehre heim zum Orden.« Flüsternd fügte er hinzu: »Ich habe sie bereits alarmiert. Ich habe vom Dorf aus angerufen.«
    »Das habe ich gesehen«, sagte Ash.
    »Ich habe mit Elvera und mit Joan Cross gesprochen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß es Marklin George und Tommy Monohan waren, die ihm geholfen haben,

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