Die Mayfair-Hexen
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Aber die Freude in ihm war seinen Erwartungen so fremd, sie war so wundervoll, daß er ihnen zu gern davon erzählt hätte. Der Orden würde ihn holen kommen. Die katastrophale Verschwörung war zerschlagen. Sie kamen, seine Brüder und Schwestern, und er konnte ihnen das Grauen und die Geheimnisse, die er gesehen hatte, offenbaren.
Er blickte nicht auf, als sie ihn verließen. Er hörte, wie sie die Wendeltreppe hinuntergingen. Er hörte das ferne Geräusch der Haustür. Er hörte auch die leisen Stimmen unter sich.
Langsam stand er auf und ging die Treppe hinunter in den ersten Stock.
Vor dem Webstuhl im Schatten stand Tessa wie ein hochgewachsener Weidensproß; sie hatte die Hände zusammen gepreßt und nickte, während Rowan mit ihr sprach, so leise, daß Yuri nichts verstehen konnte. Schließlich gab Rowan der Frau einen Abschiedskuß und ging rasch auf die Treppe zu.
»Auf Wiedersehen, Yuri«, sagte sie, als sie an ihm vorbeiging. Mit der Hand auf dem Treppengeländer drehte sie sich noch einmal um. »Yuri, erzählen Sie ihnen alles. Sorgen Sie dafür, daß die Akte über die Mayfair-Hexen geschlossen wird, wie es sich gehört.«
»Alles?« fragte er.
»Warum nicht?« Sie lächelte seltsam. Und dann war sie verschwunden.
Er sah Tessa an; für ein paar Augenblicke hatte er sie vergessen. Tessa würde tiefbetrübt sein, wenn sie Stuart sähe. Gott, wie sollte er sie nur daran hindern, die Treppe hinaufzugehen?
Aber Tessa saß schon wieder an ihrem Webstuhl und arbeitete; sie sang leise vor sich hin.
Er näherte sich ihr und wagte doch nicht, sie zu stören.
»Ich weiß«, sagte sie plötzlich; sie sah zu ihm auf und lächelte freundlich, und ihr Gesicht war rund und strahlend. »Stuart ist tot und fort, vielleicht im Himmel.«
»Sie hat es dir gesagt?«
»Ja.«
Yuri schaute aus dem Fenster. Er wußte nicht, was er da im Dunkeln eigentlich sah. War es das glitzernde Wasser des Sees? Er konnte es nicht sagen.
Aber dann waren es unverkennbar die Rücklichter eines davonfahrenden Autos. In den dunklen Nischen des Waldes blitzten sie auf, und dann war das Auto verschwunden.
Einen Augenblick lang fühlte er sich verlassen und schrecklich wehrlos. Aber sie würden für ihn anrufen, natürlich würden sie es tun.
Plötzlich war er so müde. Wo war hier ein Bett? Er hätte gern gefragt, aber er tat es nicht. Er stand nur da und beobachtete sie bei ihrer Handarbeit und lauschte ihrem Summen, und als sie schließlich aufblickte, lächelte sie wieder.
»Oh, ich wußte, daß es geschehen würde«, sagte sie. »Ich wußte es jedesmal, wenn ich ihn ansah. Ich habe nie erlebt, daß es bei euresgleichen einmal nicht geschehen wäre. Früher oder später werdet ihr alle schwach und klein, und dann sterbt ihr. Ich habe Jahre gebraucht, um das zu erkennen, um zu begreifen, daß dem niemand entkommt. Und Stuart, der Ärmste, er war so schwach; ich wußte, daß der Tod jederzeit zu ihm kommen könnte.«
Yuri sagte nichts. Er verspürte eine machtvolle Abneigung gegen sie, so machtvoll, daß er sich mit aller Kraft mühen mußte, sie zu verbergen, damit sie die Kälte nicht spürte, damit sie nicht verletzt war. Verschwommen dachte er an seine Mona; er sah sie lodern von menschlichem Leben, duftend und warm und immer wieder überraschend. Ob die Taltos die Menschen so sahen? fragte er sich. Rauher? Wilder? Sind wir rohe Tiere für sie, vielleicht Tiere von flüchtigem, gefährlichem Zauber? Wie es Löwen und Tiger für uns sind?
Mona. Im Geiste griff er in Monas Haar. Er sah, wie sie sich zu ihm umdrehte und ihn ansah mit ihren grünen Augen und lächelnden Lippen, und ihre Worte kamen in schnellem Fluß, mit einer wunderbaren amerikanischen Vulgarität und voller Charme.
Er war sicherer denn je, daß er Mona nie wiedersehen würde.
Er wußte, daß es ihr so bestimmt war, daß ihre Familie sie in ihre Mitte nahm. Jemand aus ihrem eigenen Holz, aus ihrer eigenen Sippe, würde unausweichlich ihr Geliebter werden.
»Laß uns nicht hinaufgehen«, sagte Tessa jetzt in vertraulichem Flüsterton. »Lassen wir Stuart allein. Das ist doch in Ordnung, meinst du nicht? Ich glaube, wenn sie tot sind, ist es ihnen gleich, was man tut.«
Yuri nickte langsam und schaute wieder hinaus in die geheimnisvolle Nacht hinter der Fensterscheibe.
20
Wunderbar satt stand sie in der dunklen Küche. Die Milch war ausgetrunken bis zum letzten Tropfen, und Frischkäse und Cottage Cheese und Butter waren auch weg. Glatt verputzt,
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