Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Tür öffnete sich. Ihr Blick fiel auf Vitrinen, Messingbeschläge, den gleichen jungfräulich glänzenden Marmorboden wie oben. Eine Messingplakette an der Wand trug die schlichte Inschrift: »DIE PRIVATSAMMLUNG«.
    Sie trat aus dem Fahrstuhl, ließ die Tür hinter sich seufzend zugleiten und sah, daß sie in einem riesigen, strahlend hell erleuchteten Raum stand.
    Puppen. Wohin sie auch schaute, sie sah ihre starren Glasaugen, ihre makellosen Gesichter, die Münder, halb geöffnet, mit einem Ausdruck von unverhohlener, zarter Ehrfurcht.
    In einer großen Glasvitrine vor ihr stand eine etwa einen Meter große Puppe aus Biskuitporzellan mit langen Mohairzöpfen und einem Kleid aus maßgeschneiderter verblichener Seide. Es war eine französische Schönheit aus dem Jahr 1888, hergestellt von Casimir Bru, dem vielleicht größten Puppenmacher der Welt; so stand es auf der kleinen Karte darunter.
    Die Puppe war verblüffend, ob sie einem nun gefiel oder nicht. Die blauen Augen waren dick und von Licht erfüllt und makellos mandelförmig. Die blaßrosa Porzellanhände waren so fein gearbeitet, daß man glaubte, sie bewegten sich. Aber natürlich war es das Gesicht der Puppe, ihr Ausdruck, was Rowan besonders faszinierte. Die auf das feinste gemalten Brauen unterschieden sich kaum merklich voneinander, so daß ihr Blick Leben bekam. Neugierig und unschuldig und nachdenklich war er.
    Es war ein unvergleichliches Einzelstück, daran bestand kein Zweifel. Und ob sie sich je Puppen gewünscht hatte oder nicht, sie hatte jetzt den Wunsch, diese hier zu berühren, die runden, mit Rouge überhauchten Wangen zu spüren, vielleicht die etwas geöffneten roten Lippen zu küssen, mit dem rechten Zeigefinger die feingeformten Brüste zu berühren, die sich so erotisch unter dem engen Mieder abzeichneten. Das goldene Haar war im Laufe der Zeit natürlich dünner geworden, und die eleganten kleinen Lederschuhe waren verschlissen und rissig. Aber die ganze Wirkung war immer noch zeitlos, unwiderstehlich, »eine immerwährende Freude«. Rowan wünschte, sie hätte die Vitrine öffnen und die Puppe in den Arm nehmen können.
    Sie sah es vor sich, wie sie sie wiegte wie ein Neugeborenes und ihr vorsang, obwohl sie kein Säugling war, sondern ein kleines Mädchen. Kleine blaue Perlen hingen an den makellos geformten Ohren. Sie trug eine Kette um den Hals, elegant, eine Frauenkette vielleicht. Ja, wenn man alle Aspekte berücksichtigte, war sie überhaupt kein Kind, sondern eine sinnliche kleine Frau von außerordentlicher Frische, vielleicht eine gefährliche, raffinierte Kokette.
    Auf einer kleinen Karte waren ihre besonderen Eigenschaften erläutert: Warum sie so groß war. Daß sie ihre Originalkleidung trug. Daß sie vollkommen war. Daß sie die erste Puppe war, die Ash Templeton erworben hatte. Weitere Erklärungen zu der Frage, wer Ash Templeton war, wurden nicht gegeben und waren anscheinend auch nicht erforderlich.
    Die erste Puppe. Und er hatte ihr, als er von dem Museum gesprochen hatte, beiläufig erzählt, daß er sie in einem Pariser Geschäft im Schaufenster gesehen hatte, kurz nachdem sie auf den Markt gekommen war.
    Kein Wunder, daß sie sein Auge und sein Herz gefangengenommen hatte. Kein Wunder, daß er sie hundert Jahre lang mit sich herumgeschleppt hatte; kein Wunder auch, daß er sein gewaltiges Unternehmen als eine Art Tribut an sie gegründet hatte: um, wie er sagte, »ihre Anmut und Schönheit in neuer Form für alle zugänglich zu machen«.
    Es war nichts Triviales an ihr; es war, als berge sie ein süßes Geheimnis. Verwirrt, ja, fragend, versonnen: eine Puppe, die mit Nachdenken beschäftigt war.
    Indem ich sie sehe, dachte Rowan, verstehe ich alles.
    Sie ging weiter, zwischen den anderen Schauvitrinen entlang. Sie sah noch andere französische Kostbarkeiten, Werke von Jumeau und Steiner und anderen, deren Namen sie sich niemals merken würde; Hunderte und Aberhunderte von kleinen französischen Gören mit runden Mondgesichtern, winzigen roten Mündern und immergleichen Mandelaugen. »Oh, was für Unschuldslämmer ihr seid«, flüsterte Rowan. Und hier kamen die Modepuppen mit ihren Turnüren und den exquisiten Hüten.
    Sie hätte stundenlang hier umherspazieren können. Es gab unendlich viel mehr zu sehen, als sie sich vorgestellt hatte. Und die Stille war so verlockend, der Blick auf den unablässig rieselnden Schnee vor den Fenstern.
    Aber sie war nicht allein.
    Durch mehrere Glasscheiben sah sie, daß Ash zu

Weitere Kostenlose Bücher