Die Mayfair-Hexen
All der Handel, die endlose Vielfalt von schönen und nützl i chen Dingen, könnte die Welt am Ende retten, wenn nur…
»Mr. Ash.« Eine leise Stimme unterbrach ihn. Mehr war nicht nötig. Er hatte sie alle gut erzogen. Macht keinen Laut, wenn ihr an der Tür seid. Sprecht leise. Ich werde euch hören.
Und diese Stimme kam von Remmick, der von Natur aus sanft war, einem Engländer (mit etwas keltischem Blut, auch wenn Remmick das nicht wußte), einem Kammerdiener, der sich in den letzten zehn Jahren als unentbehrlich erwiesen hatte, o b wohl die Zeit nah war, wo Remmick aus Sicherheitsgründen würde weggeschickt werden müssen.
»Mr. Ash, die junge Frau ist hier.«
»Danke, Remmick«, sagte er mit einer Stimme, die noch leiser war als die seines Butlers. Im dunklen Fensterglas konnte er Remmicks Spiegelbild sehen – einen ansehnlichen Mann mit kleinen, sehr strahlenden Augen. Sie standen zu eng beiei n ander, diese Augen. Aber das Gesicht war nicht unattraktiv, und es trug immer einen Ausdruck von so stiller und undram a tischer Hingabe, daß er allmählich angefangen hatte, es zu lieben, ja, Remmick selbst zu lieben.
Es gab viele Puppen auf der Welt, deren Augen zu eng beieinander standen – vor allem die französischen Puppen, die vor Jahren von Jumeau hergestellt worden waren, von Schnürt & Söhnen und Huret und Petit und Demontier: mondgesichtig und mit glitzernden Glasaugen, die sich eng an die kleinen Porzellannasen drängten, und mit Mündern, so winzig, daß sie auf den ersten Blick aussahen wie zarte Knospen oder wie Wespenstiche. Jeder liebte diese Puppen. Die Wespenstic h königinnen.
Wenn man Puppen liebte und sie studierte, dann fing man an, auch alle möglichen Leute zu lieben, denn man sah die T u gend in ihrem Ausdruck, man sah, wie sorgfältig sie geformt, wie geschickt die Teile zusammengefügt worden waren, um den Triumph dieses oder jenes bemerkenswerten Gesichtes zuwege zu bringen. Manchmal spazierte er durch Manhattan und sah absichtlich jedes Gesicht, als wäre es gemacht, als wäre keine Nase, kein Ohr, keine Falte dem Zufall überlassen worden.
»Sie trinkt einen Schluck Tee, Sir. Sie hat schrecklich gefr o ren, als sie kam.«
»Wir haben ihr keinen Wagen geschickt, Remmick?«
»Doch, Sir, aber ihr ist trotzdem kalt. Es ist sehr kalt draußen, Sir.«
Er ging auf dem Boden aus Carrara-Marmor zur Tür des b e nachbarten Büros und schaute durch diesen Raum in einen weiteren, der ebenfalls – wie alle seine Räume – mit blankem Marmor ausgelegt war. Dort saß die junge Frau allein an e i nem Schreibtisch. Er konnte ihr Profil sehen. Er konnte sehen, daß sie aufgeregt und besorgt war. Er konnte sehen, daß sie den Tee eigentlich wollte, aber dann doch wieder nicht. Sie wußte nicht, was sie mit ihren Händen anfangen sollte.
Als er näher kam, machte er ein höfliches, hinreichendes Maß an Geräuschen. Langsam drehte sie den Kopf; sie blickte auf, sie sah ihn, und dann kam der unvermeidliche Schock.
Er streckte die Arme aus, als er auf sie zuging.
Sie erhob sich strahlend und ergriff seine Hände. Ein warmer, fester Griff. Sie schaute seine Hände an, die Finger, die Han d flächen.
»Ich überrasche Sie, Miss Paget?« Er schenkte ihr sein freundlichstes Lächeln. »Sehe ich so schlimm aus?«
»Mr. Ash, Sie sehen fabelhaft aus«, antwortete sie rasch. Ihr Tonfall war frisch, kalifornisch. »Ich hatte nicht erwartet… ich hatte nicht erwartet, daß Sie so groß sein würden. Natürlich haben alle gesagt, Sie seien…«
»Und sehe ich aus wie ein gütiger Mann, Miss Paget? Das sagen auch alle.« Er sprach langsam. Oft verstanden Amer i kaner seinen »britischen Akzent« nicht.
»O ja, Mr. Ash«, sagte sie. »Sehr gütig.«
Ihr Blick wanderte schwelgerisch über ihn, und das genoß er. Er drückte ihre Hände noch einmal zärtlich und ließ sie dann los.
Als er um den Schreibtisch herumging, setzte sie sich wieder, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Ihr eigenes Gesicht war schmal und hatte für eine so junge Frau tiefe Falten. Ihre A u gen waren bläulich violett. Sie war schön auf ihre Art – asc h blondes Haar, zerzaust und doch anmutig, in erlesenen, zerknautschten alten Kleidern.
»Ich bewundere Ihre Arbeit, Miss Paget«, sagte er. »Es ist mir eine Freude, Sie endlich kennen zu lernen.« Er deutete auf den Schreibtisch; er war übersät von großen Farbfotos ihrer Puppen.
War es möglich, daß sie die noch nicht bemerkt hatte? Sie schien überwältigt vor
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