Die Mayfair-Hexen
sind Freunde, so hoffe ich, und wir werden einander niemals etwas antun. Ich kann im Dunkeln nach Ihren Händen greifen. Sie können mich rufen, und ich werde antworten.
Aber was ist, wenn etwas Neues passiert? Etwas ganz Neues? Ich glaube, ich kann es sehen, ich glaube, ich kann es mir vorstellen, doch dann… entzieht es sich mir wieder.
Ich weiß die Antwort nicht.
Ich weiß, ich werde Ihre rothaarige Hexe, Mona, niemals behelligen. Keine Ihrer mächtigen Frauen werde ich je behelligen. Viele Jahrhunderte sind vergangen, seit Lust oder Hoffnung mich zu diesem Abenteuer verleitete.
Ich bin allein, und wenn ich verflucht bin, so habe ich es vergessen.
Mir gefällt mein Imperium der kleinen, schönen Dinge. Mir gefällt das Spielzeug, das ich der Welt zu bieten habe. Die Puppen mit den tausend Gesichtern sind meine Kinder.
Im kleinen sind sie mein Tanz, mein Kreis, mein Lied. Embleme des ewigen Spielens, vielleicht ein Werk des Himmels.
31
Und der Traum wiederholt sich. Sie steigt aus dem Bett, läuft die Treppe hinunter. »Emaleth!« Die Schaufel liegt unter dem Baum. Wer würde sich je die Mühe machen, sie wegzuschaffen?
Sie gräbt und gräbt, und da ist ihr Mädchen mit den langen, glatten Haaren und den großen blauen Augen.
»Mutter!«
»Komm, mein Liebling.«
Sie kauern zusammen in der Grube. Rowan hält sie in den Armen, wiegt sie. »Oh, es tut mir so leid, daß ich dich getötet habe.«
»Es ist schon gut, liebe Mutter.«
»Es war Krieg«, sagte Michael. »Und im Krieg werden Leute getötet, und dann, später…«
Sie erwachte und schnappte nach Luft.
Es war still im Zimmer; nur das leise Summen der Heizung drang aus den kleinen Lüftungsschlitzen über dem Fußboden. Michael schlief neben ihr, und seine Fingerknöchel berührten ihre Hüfte, als sie dasaß, die Hände vor den Mund gepreßt, und auf ihn hinabschaute.
Nein, wecke ihn nicht. Laß ihn dieses Elend nicht noch einmal durchleben. Aber sie wußte es.
Als alles, was zu sagen war, gesagt worden war, als sie zu Abend gegessen und einen langen Spaziergang durch die verschneiten Straßen gemacht hatten, als sie bis zum Morgengrauen geredet und dann gefrühstückt, als sie wieder geredet und einander ewige Freundschaft geschworen hatten, da hatte sie es gewußt. Sie hätte niemals ihr Mädchen töten dürfen. Es gab keinen Grund dafür.
Wie hätte dieses rehäugige Wesen, das sie so getröstet hatte, mit dieser gütigen Stimme, mit der Milch, die aus ihren Brüsten floß, hmmmm, der Geschmack dieser Milch, wie hätte dieses zitternde Wesen jemandem etwas anhaben können?
Was war es für eine Logik gewesen, die sie dazu gebracht hatte, die Pistole zu heben und den Abzug zu drücken? Ein Kind der Vergewaltigung, ein Kind der Verirrung, ein Kind des Alptraums. Aber dennoch ein Kind…
Sie stand auf, tastete im Dunkeln nach ihren Pantoffeln und griff nach dem langen, weißen Neglige auf dem Stuhl.
Getötet, getötet, getötet, dieses zarte, vertrauensvolle Geschöpf, erfüllt vom Wissen um längst vergangene Länder, von Tal und Glen und Ebene, und wer weiß von welchen Mysterien noch? Ihre Trösterin im Dunkeln, als sie ans Bett gefesselt gewesen war. Meine Emaleth.
Ein fahlweißes Fenster hing im Dunkeln am Ende des Flures, ein großes Rechteck aus leuchtendem Nachthimmel, und das Licht floß auf den langgestreckten Weg aus farbigem Marmor.
Diesem Licht ging sie entgegen, und ihr Neglige blähte sich auf wie ein Ballon; ihre Füße tappten leise wieselnd über den Boden, und ihre Hand streckte sich dem Fahrstuhlknopf vor ihr entgegen.
Abwärts, abwärts, abwärts, bring mich zu den Puppen. Bring mich hier raus. Wenn ich aus dem Fenster schaue, springe ich. Ich werde das Fenster öffnen und über die endlosen Lichter der größten Stadt der Welt hinausschauen, und dann werde ich auf das Sims klettern und die Arme ausbreiten und hinunterfallen in die eiskalte Dunkelheit.
Abwärts, abwärts, abwärts, mit dir, meine Tochter.
All die Bilder aus seiner Erzählung gingen ihr durch den Kopf, das sonore Timbre seiner Stimme, der sanfte Blick seiner Augen beim Sprechen. Und jetzt ist sie Abfall unter den Wurzeln einer Eiche, ausgelöscht aus dieser Welt ohne einen Tintenstrich auf einem Stück Papier, ohne ein Lied, das man gesungen hätte.
Die Tür schloß sich. Der Wind machte Geräusche im Schacht, dieses leise Wispern, wie der Wind in den Bergen vielleicht, und als die Kabine nach unten fuhr, wurde daraus ein Heulen wie in einem
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