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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Riesenkamin. Sie wollte zusammensacken und auf den Boden sinken, erschlaffen ohne Willen, Absicht oder Kampfesmut, einfach im Dunkeln versinken.
    Nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu denken. Nichts mehr zu wissen oder zu lernen. Ich hätte ihre Hand nehmen, hätte sie in den Armen halten sollen. So leicht wäre es gewesen, sie zu behalten, sie zärtlich an meine Brüste zu schmiegen, meinen Liebling, meine Emaleth.
    Die Tür glitt auf. Die Puppen haben sie erwartet. Das goldene Licht der Stadt kommt zu hundert hohen Fenstern herein, fängt sich und schwebt in hundert Quadraten und Rechtecken und schimmerndem Glas, und die Puppen, die Puppen warten und wachen mit erhobenen Händen. Winzige Mündchen, stets im Begriff zu grüßen. Kleine Finger verharren still.
    Lautlos ging sie zwischen den Puppen hindurch, Korridor um Korridor voller Puppen, die Augen wie pechschwarze Löcher im Raum oder wie blinkende Knöpfe im Lichtschein. Puppen sind still; Puppen sind geduldig, Puppen sind aufmerksam.
    Und hier sind wir wieder bei der Bru, der Königin der Puppen.
    Erwache zum Leben. Werde lebendig, nur für einen Augenblick. Sei mein. Sei warm. Sei lebendig.
    Dich in meinen Armen halten…
    Ihre Hände lagen gespreizt am kalten Glas der Vitrine. Sie preßte die Stirn dagegen. Das Licht malte zwei Halbmonde in ihre Augen. Die langen mohairfarbenen Haare lagen flach und schwer auf der Seide ihres Mantels, als wären sie feucht von klammer Erde, von der Feuchte des Grabes vielleicht.
    Wo war der Schlüssel? Hatte er ihn an einer Kette um den Hals getragen?
    Sie wußte es nicht mehr. Sie sehnte sich danach, die Tür zu öffnen und die Puppe in die Arme zu nehmen. Sie für einen Moment fest an die Brust zu pressen.
     
    Er war da. Er stand vor der Scheibe. Man konnte ihn mit niemandem verwechseln. Niemand sonst war so groß, und selbst wenn es das nicht gewesen wäre – sie kannte sein Gesicht inzwischen zu gut, die Konturen seines Profils.
    Er hatte sie im Dunkeln gehört, wie sie den Korridor hinunter gegangen war. Aber er rührte sich nicht. Er lehnte nur so am Fensterrahmen und sah zu, wie das Licht sich draußen sammelte, wie die Dunkelheit verblaßte und milchig wurde, und wie die Sterne sich auflösten, als seien sie darin geschmolzen.
    Was dachte er? Daß sie gekommen war, um ihn aufzusuchen?
    Sie fühlte sich innerlich wund, kraftlos. Außerstande, sich zu überlegen, was zu tun sei. Vielleicht sollte sie zu ihm hinübergehen und sich neben ihn stellen und hinunterschauen auf die rauchige Düsternis der Dächer und Türme in der Frühe, auf die Lichter, die in dunstigen Straßen funkelten, auf den Rauch, der sich aus hundert Kaminen und Schornsteinen kräuselte und wölkte.
    Sie tat es. Sie stellte sich neben ihn.
    »Wir lieben einander jetzt«, sagte er. »Nicht wahr?«
    Sein Gesicht war so traurig. Es tat ihr weh. Es war ein frischer Schmerz, der sie in der Mitte des alten berührte, etwas Unmittelbares, das Tränen hervorbringen konnte, wo zuvor nur etwas Schwarzes und Leeres wie das Grauen gewesen war.
    »Ja, es ist wahr«, sagte sie. »Wir lieben einander. Von ganzem Herzen.«
    »Und das immerhin werden wir haben«, sagte er. »Nicht wahr?«
    »Ja, immer. Solange wir leben. Wir sind Freunde und werden es immer sein, und nichts und niemand wird jemals zerstören können, was wir einander versprochen haben.«
    »Und ich werde wissen, daß Sie da sind. So einfach ist es.«
    »Und wenn Sie nicht mehr allein sein wollen, kommen Sie. Kommen Sie und bleiben Sie bei uns.«
    Er wandte sich zum erstenmal um, als habe er sie eigentlich gar nicht anschauen wollen. Der Himmel verblaßte so rasch; der Raum füllte sich und öffnete sich weit, und sein Gesicht war müde und nur eine Idee weniger als vollkommen.
    Ein Kuß, ein keuscher und lautloser Kuß, und nicht mehr, nur ein enges Verschränken der Finger.
    Und dann war sie fort, benommen, wund, froh über den Tag, der sich über das weiche Bett ergoß. Jetzt kann ich schlafen; es ist endlich hell. Jetzt kann ich schlafen, kann unter die weiche Decke kriechen, wieder zu Michael.

 
32

    Es war zu kalt, um draußen unterwegs zu sein, aber der Winter wollte New York nicht aus seinen Klauen lassen. Und wenn der kleine Mann sich mit ihm in der Trattoria treffen wollte, dann sollte es eben so sein.
    Ash hatte nichts gegen einen Spaziergang. Er wollte nicht allein sein in seinen einsamen Turmräumen, und er war ziemlich sicher, daß Samuel schon unterwegs war und sich nicht würde

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