Die Mayfair-Hexen
Ich habe so manches gesehen. Ich habe viele Geschichten gehört. Regen und Wind befruchten die Erde, wie Janet es gesagt hat. Was wird als nächstes aus irgendeinem verborgenen Garten entspringen?
Könnten wir heute zusammenleben, Taltos und Mensch, in ein und derselben Welt? Wie sollte das möglich sein? Dies ist eine Welt, in der die menschlichen Völker endlos gegeneinander Kriege führen und wo die Menschen des einen Glaubens noch immer die des anderen niedermetzeln.
Volk, Stamm, Clan, Familie.
Tief in uns allen liegt die Saat des Hasses auf alles, was anders ist. Das alles braucht man uns nicht erst zu lehren. Lehren muß man uns, ihm nicht nachzugeben. Es liegt uns im Blut; aber in unserem Herzen haben wir die Barmherzigkeit und die Liebe, um es zu überwinden.
Und wie würde es meinem sanften Volk heute ergehen, wenn es zurückkäme, töricht wie damals, außerstande, der Wildheit des Menschen etwas entgegenzusetzen, aber mit seiner unverschämten Erotik ein Schrecken noch für den unschuldigsten Menschen? Würden wir uns tropische Inseln erwählen, um unsere sinnlichen Spiele zu spielen, unsere Tänze aufzuführen und in die Trance des Singens und Tanzens zu verfallen?
Oder wäre unser Reich das des elektronischen Zeitvertreibs? Würden wir uns in die Quantenphysik verlieben, wie wir uns einst ins Weben verliebt haben?
Mein Gehirn ist zweimal so groß wie das des Menschen. Mein Altern verläuft nach keiner bekannten Uhr. Meine Fähigkeiten auf dem Felde der modernen Wissenschaft und Medizin sind unvorstellbar.
Und wenn sich nur ein einziger Mann, eine einzige Frau voller Ehrgeiz unter uns erhöbe, ein Lasher, wenn Sie so wollen, der die Vorherrschaft unseres Volkes wiederherstellen möchte, was würde dann geschehen? Binnen einer einzigen Nacht könnte ein Paar Taltos ein Bataillon von Erwachsenen hervorbringen, bereit, die Zitadellen menschlicher Macht zu erstürmen, die Waffen zu zerstören, die der Mensch soviel besser zu nutzen weiß, bereit, Nahrung und Trank, den Ressourcenüberfluß dieser Welt für sich in Anspruch zu nehmen und ihn jenen weniger Sanften, weniger Gütigen, weniger Geduldigen zu verweigern und ihnen ihre äonenlange blutige Herrschaft heimzuzahlen.
Selbstverständlich habe ich nicht den Wunsch, es herauszufinden.
Ich habe die Jahrhunderte nicht mit dem Studium der materiellen Welt verbracht, mich auch nicht im Gebrauch der Macht geübt. Aber wenn es mir einmal beliebt, einen Sieg für mich zu erringen, dann weicht die Welt vor mir zurück, als wären alle ihre Hindernisse nur aus Papier. Mein Reich, meine Welt – das alles besteht aus Spielzeug und Geld. Aber wie viel leichter wäre es aus Medikamenten zu schaffen, die den männlichen Menschen zur Ruhe bringen, das Testosteron in seinen Adern verdünnen und sein Schlachtgebrüll für immer zum Verstummen bringen?
Und wenn Sie wollen, stellen Sie sich einen Taltos mit echtem Ehrgeiz vor. Nicht einen Träumer, der ein paar kurze Jahre in nebligen Regionen verbracht hat, genährt mit heidnischer Poesie, sondern einen Visionär, der getreu den Prinzipien Christi beschließt, daß die Gewalt abgeschafft werden müsse und daß der Frieden auf Erden jedes Opfer wert sei.
Stellen Sie sich die Legionen von Neugeborenen vor, die seiner Sache treu ergeben wären, die Armeen, die da herangezüchtet würden, um in jedem Dorf, jedem Tal die Liebe zu predigen und buchstäblich jeden auszurotten, der dagegen spräche?
Was bin ich letzten Endes? Ein Reservoir von Genen, das die Welt zum Einsturz bringen könnte? Und was sind Sie, meine Mayfair-Hexen – haben Sie die gleichen Gene über die Jahrhunderte hervorgebracht, damit wir dem Königreich Christi mit unseren Söhnen und Töchtern ein endgültiges Ende machen?
Die Bibel hat einen Namen dafür, nicht wahr? Das Tier, der Dämon, der Antichrist.
Wer hat den Mund für solche Glorie? Törichte alte Dichter, die heute noch in Türmen wohnen und von Ritualen am Glastonburytor träumen, mit denen sie die Welt erneuern wollen.
Und war nicht selbst für diesen verrückten alten Mann, diesen törichten Narren, ein Mord die erste Erfordernis für seine Vision?
Ich habe Blut vergossen. Es klebt jetzt noch an meinen Händen, um der Rache willen – eine erbärmliche Methode, um eine Wunde zu heilen, aber eine, zu der wir in unserem Elend immer wieder greifen. Die Talamasca ist wieder heil. Es war den Preis nicht wert, aber es ist geschehen. Und unsere Geheimnisse sind einstweilen sicher.
Wir
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