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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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überreden lassen, zurückzukehren.
    Er genoß das Treiben auf der Seventh Avenue, die Hast in der frühen Abenddämmerung, die strahlenden Schaufenster, voll von buntem asiatischem Porzellan, prachtvollen Uhren, Bronzestatuen und Teppichen aus Wolle und Seide – all der Geschenkware, die in diesem Teil der Midtown verkauft wurde. Paare eilten zum Abendessen, damit sie es noch rechtzeitig zur Carnegie Hall schafften, wo ein junger Geiger weltweites Aufsehen erregte. Die Schlangen an der Abendkasse waren lang. Die schicken Boutiquen waren noch nicht geschlossen; zwar fiel der Schnee in winzigen Flocken, aber der beständige Donner menschlicher Füße verhinderte, daß er Straße und Gehweg bedeckte.
    Nein, dies ist kein schlechter Augenblick, um zu Fuß unterwegs zu sein. Es ist ein schlechter Augenblick, um zu vergessen, daß du eben deine Freunde Michael und Rowan zum letztenmal umarmt hast, bis du wieder von ihnen hörst.
    Nein, er wollte nicht allein sein.
    In der Trattoria war es bereits voll; das sah er durchs Fenster. Die Gäste saßen Schulter an Schulter an der langen, geschwungenen Bar und an den zahllosen kleinen Tischen.
    Aber da war Samuel, wie versprochen; er paffte an einer feuchten kleinen Zigarette und trank Whiskey aus einem schweren kleinen Glas, während er nach ihm Ausschau hielt.
    Ash schob sich sehr behutsam an den Ein- und Ausgehenden vorbei; er nickte dem gehetzten Türsteher kurz zu und deutete mit dem Finger auf Samuel, um ihm zu verstehen zu geben, daß er erwartet wurde.
    Die Kälte erstarb sofort, und mit dem Lärmen der Stimmen und Töpfe und Pfannen und Teller und scharrenden Füße kam ihm auch die warme Luft entgegen und umgab ihn wie eine Flüssigkeit.
    Samuels Tisch stand unmittelbar am Fenster.
    »Los, sag’s schon«, forderte Ash ihn leise auf, als er sich neben ihm niederließ. »Du reist ab, du willst zurück nach England.«
    »Das hast du schon vorher gewußt; ich will nicht hier drüben sein. Ich denke immer, es wird wunderbar, und dann werde ich müde und muß wieder nach Hause. Ich muß zurück ins Glen, bevor die Trottel von der Talamasca dort einfallen.«
    »Das werden sie nicht tun«, sagte Ash. »Ich hatte gehofft, du würdest ein Weilchen bleiben.« Er wunderte sich, wie gut er seine Stimme in der Gewalt hatte. »Daß wir uns noch über ein paar Dinge unterhalten könnten…«
    »Du hast geweint, als du dich von deinen Menschenfreunden verabschiedet hast, was?«
    »Warum fragst du mich jetzt danach? Legst du es darauf an, unseren Abschied von schroffen Tönen begleiten zu lassen?«
    »Wieso vertraust du denen, diesen beiden Hexen? Hier, der Kellner redet mit dir. Iß was.«
    Ash deutete auf die Speisekarte, auf die Standardpasta, die er in solchen Lokalen immer aß, und wartete, bis der Mann verschwunden war, bevor er weitersprach.
    »Wenn du nicht betrunken gewesen wärst, Samuel, wenn du nicht alles durch einen verdrießlichen Nebel gesehen hättest, dann wüßtest du jetzt die Antwort auf deine Frage.«
    »Mayfair-Hexen. Ich weiß, was sie sind. Yuri hat mir alles über sie erzählt. Er hat im Fieber viel geredet. Ash, sei nicht schon wieder so dumm. Erwarte nicht, daß diese Leute dich lieben.«
    »Deine Worte ergeben keinen Sinn«, sagte Ash. »Sie haben es noch nie getan. Sie sind ein Geräusch, das ich inzwischen zu hören gewohnt bin, wenn ich in deiner Nähe bin.«
    Der Kellner stellte ihm Mineralwasser hin, Milch, Gläser.
    »Du bist nicht auf der Höhe, Ash«, sagte Samuel und winkte nach einem neuen Glas Whiskey, und es war purer Whiskey, das konnte Ash riechen. »Und das ist nicht meine Schuld.« Samuel ließ sich auf dem Stuhl nach hinten fallen. »Hör zu, mein Freund, ich will dich nur warnen. Laß es mich so ausdrücken, wenn dir das lieber ist. Du darfst diese beiden nicht lieben.«
    »Weißt du, wenn du darauf bestehst, mir weiter diesen Vortrag zu halten, dann könnte es sein, daß ich die Geduld verliere.«
    Der kleine Mann lachte laut auf. Es war ein dunkles, polterndes Lachen, aber sogar die Falten über seinen Augen zeigten, wie erheitert er plötzlich war.
    »Dafür würde ich glatt noch ein oder zwei Stunden in New York bleiben«, sagte er, »wenn ich dächte, daß ich so was wirklich mal zu sehen kriege.«
    Ash antwortete nicht.
    Nach einer Weile sagte er: »Und wen darf ich lieben?« Er sagte es mit dem leisesten Unterton eines Vorwurf. »Ich werde froh sein, wenn du weg bist. Ich meine… ich meine, ich werde froh sein, wenn dieses

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