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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gesehen hat. Und unter den Zauberern wird gemunkelt, und unter denen, die an den heidnischen Bräuchen festhalten. Die Leute träumen davon, den männlichen und den weiblichen zusammenzubringen. Aber wir sollten von so was nicht reden. Wir lassen diese Hexen am Leben, weil sie hin und wieder jemanden zu heilen verstehen. Aber die Geschichten, die sie erzählen, glaubt niemand, und sie schicken sich auch nicht für die Ohren guter Christenmenschen.«
    »Ja, ja«, sagte ich. »Das kann ich mir gut vorstellen.« Und ich dankte ihm.
    Ich wartete nicht bis zur Frühmesse ab, um diesen seltsamen, hochgewachsenen Priester zu sehen.
    Ich witterte ihn, als ich mich dem Pfarrhaus näherte, und als er zur Tür kam, weil er mich gerochen hatte, da starrten wir einander an. Ich erhob mich zu meiner vollen Größe, und natürlich hatte er nichts unternommen, um die seine zu verbergen. So standen wir nur da und schauten einander an.
    Ich sah die alte Sanftheit in ihm; sein Blick war beinahe schüchtern, die Lippen waren weich, die Haut so frisch und makellos wie die eines Babys. War er wirklich von zwei Menschen gezeugt, von zwei mächtigen Hexen vielleicht? Glaubte er an seine Bestimmung?
    Mit Erinnerungen geboren, ja, mit Wissen geboren, ja, und gottlob, es war die richtige Zeit gewesen, an die er sich erinnerte – und die richtige Schlacht und der richtige Ort. Und jetzt ging er dem alten Beruf nach, der vor Jahrhunderten für uns vorgezeichnet worden war.
    Er kam mir entgegen. Er wollte etwas sagen. Vielleicht traute er seinen Augen nicht, daß er jemanden vor sich sah, der war wie er.
    »Vater«, sagte ich auf Latein, das er höchstwahrscheinlich verstehen würde. »Waren dein Vater und deine Mutter wirklich Menschen?«
    »Was sonst?« fragte er, offensichtlich zu Tode erschreckt. »Geh doch selbst zu meinen Eltern, wenn du willst. Frag sie.« Er war bleich geworden und zitterte.
    »Vater«, sagte ich, »wo gibt es eine wie dich unter den Frauen?«
    »Es gibt keine!« erklärte er. Aber jetzt konnte er sich kaum noch beherrschen und wäre beinahe vor mir davongerannt. »Bruder, woher kommst du?« fragte er. »Hier, bitte Gott um Vergebung für deine Sünde, was immer du sein magst.«
    »Du hast noch nie eine Frau von deiner Art gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Bruder, ich bin der Auserwählte Gottes«, sagte er. »Der Auserwählte des Heiligen Ashlar.« Er senkte demütig den Kopf, und ich sah, daß er errötete, denn er hatte offenkundig die Sünde des Stolzes begangen, indem er dies verkündet hatte.
    »Dann lebe wohl«, sagte ich. Und ich verließ ihn.
    Ich verließ die Stadt und ging wieder hinaus zu den Steinen; ich sang ein altes Lied und ließ mich vom Wind hin und her wiegen, und dann wandte ich mich dem Wald zu.
    Hinter mir dämmerte eben der Morgen herauf, als ich die bewaldeten Hänge erklomm, um die alte Höhle zu finden. Es war ein trostloser Fleck, finster wie vor fünfhundert Jahren. Von der Hütte der Hexe keine Spur mehr.
    Im Licht des frühen Morgens, das kalt und bitter war wie an einem Winterabend, hörte ich, wie eine Stimme nach mir rief.
    »Ashlar!«
    Ich drehte mich um und spähte durch den dunklen Wald.
    »Ashlar, der Verfluchte! Ich sehe dich!«
    »Du bist es, Aiken Drumm!« rief ich, und ich hörte sein niederträchtiges Gelächter. Ah, die Kleinen Leute waren da, in Grün gekleidet, damit sie mit Laub und Farnkraut verschmolzen. Ich sah ihre grausamen kleinen Gesichter.
    »Hier ist kein großes Weib für dich, Ashlar!« krähte Aiken Drumm. »Wird auch keins geben. Keine Männer von deiner Art; bloß ein quäkender Pfaffe, von Hexen geboren, der gleich auf die Knie fällt, wenn er unsere Flöten hört. Hier! Komm her. Nimm dir eine kleine Braut, einen süßen Happen verschrumpeltes Fleisch, und sieh, was du da zeugst! Sei dankbar für das, was Gott dir gibt!«
    Sie hatten angefangen, ihre Trommeln zu schlagen. Ich hörte das Wimmern ihrer Lieder, disharmonisch, gespenstisch und doch seltsam vertraut. Und dann setzten die Flöten ein. Es waren die alten Lieder, die wir gesungen hatten, die Lieder, die wir sie gelehrt hatten!
    »Wer weiß, Ashlar, der Verfluchte?« schrie er. »Aber deine Tochter und einer von uns könnten noch heute morgen ein Weib zeugen! Komm mit uns, wir haben genug kleine Frauen, um dich damit zu erfreuen! Denk doch – eine Tochter, königliche Majestät! Das Große Volk wird von neuem das Hochland beherrschen.«
    Ich wandte mich ab und rannte durch die Bäume davon; ich

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