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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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blieb erst stehen, als ich den Paß hinter mir gelassen und die Landstraße erreicht hatte.
    Natürlich stimmte es, was Aiken Drumm da gesagt hatte. In ganz Schottland hatte ich keine Frau von meiner Art gefunden. Und ich war nur hergekommen, um mir eine zu suchen.
    Damals, an jenem kalten Morgen, glaubte ich nicht, daß ich nie wieder eine junge oder fruchtbare Taltos zu Gesicht bekommen würde. Oh, wie oft hatte ich in den frühen Jahrhunderten unsere Frauen gesehen und mich von ihnen abgewandt. Vorsichtig, reserviert hatte ich es abgelehnt, einen jungen Taltos zu zeugen, der um all der süßen Umarmungen des verlorenen Landes willen die Wirrnisse dieser fremden Welt erleiden würde.
    Und wo waren sie jetzt, diese duftenden Schönheiten?
    Alt und weißhaarig, mit süßem Atem, geruchlos – so hatte ich sie oft gesehen, und so würde ich sie noch öfter sehen, wilde, verlorene Kreaturen, oder eingehüllt in die Träume einer Zauberin. Nur keusche Küsse hatten sie mir gegeben.
    So manche menschliche Hexe habe ich in mein Bett gelockt; manchmal habe ich sie vor den Gefahren meiner Umarmung gewarnt, manchmal auch nicht, wenn ich nämlich glaubte, sie
    sei stark und fähig, meine Nachkommenschaft zur Welt zu bringen.
    Die ganze Welt habe ich durchstreift, auf jede denkbare Weise, um die geheimnisvolle, alterslose Frau zu finden, die sich an längst vergangene Zeiten erinnert und die Männer, die zu ihr kommen, mit süßem Lächeln willkommen heißt, ohne ihnen jemals Kinder zu gebären.
    Sie ist ein Mensch, oder sie ist gar nicht da.
    Ich war zu spät gekommen oder an den falschen Ort, oder die Seuche hatte die Schönheit schon vor vielen Jahren hingerafft. Ein Krieg hatte die Stadt verwüstet. Oder niemand kannte die Geschichte.
    Würde es immer so sein?
    Es gibt Geschichten von Riesen im Überfluß auf der Erde, von großen, schönen, begnadeten.
    Sie können doch sicher nicht alle fort sein. Was ist denn aus denen geworden, die aus dem Glen geflüchtet sind? Werden in der Welt der Menschen keine wilden Taltos-Frauen mehr geboren?
    Sicher lebt doch irgendwo in den tiefen Wäldern Schottlands oder im Dschungel von Peru oder in den verschneiten Einöden Rußlands eine Taltos-Familie, ein Clan in seinem warmen, gut bewehrten Turm.
    Mein Volk kann nicht verschwunden sein.
    Die Welt ist riesig. Die Welt ist endlos. Sicher bin ich nicht der letzte. Sicher war das doch nicht der Sinn von Janets furchtbaren Worten, daß ich einsam in Ewigkeit durch die Zeiten irren soll.
    Aber jetzt kennen Sie meine Geschichte.
    Ich könnte Ihnen noch vieles mehr erzählen. Ich könnte Ihnen von meinen Reisen durch zahlreiche Länder erzählen, von den verschiedenen Berufen, die ich im Laufe der Jahre hatte. Von den paar männlichen Taltos könnte ich Ihnen erzählen, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin, und von den Geschichten, die ich von unserem untergegangenen Volk erzählen hörte, das einst in diesem oder jenem sagenumwobenen Dorf wohnte.
    Die Geschichte, die man erzählt, ist die Geschichte, die man erzählen will.
    Und dies ist die Geschichte, die wir miteinander gemeinsam haben, Rowan und Michael.
    Sie wissen jetzt, wie der Clan von Donnelaith entstanden ist. Sie wissen, wie es kam, daß das Blut des Taltos ins Blut der Menschen geriet. Sie kennen die Geschichte der ersten Frau, die je in diesem schönen Tal verbrannt wurde. Und die traurige Geschichte des Ortes, an den der Taltos so viel Elend gebracht hat, nicht einmal, sondern wieder und wieder, wenn denn alle unsere Geschichten auch Geschichte sind.
    Janet, Lasher, Suzanne, ihre Nachkommen bis hin zu Emaleth.
    Und Sie sehen jetzt: Als Sie Ihre Pistole in die Hand nahmen, als Sie sie hoben, Rowan, und als Sie die Schüsse abfeuerten, die dieses Kind, dieses Mädchen niederstreckten, das Ihnen seine Milch gegeben hatte, da war dies keine niedere Tat, deretwegen Sie sich jemals schämen müßten, sondern es war Schicksal.
    Sie haben uns beide gerettet. Vielleicht haben Sie uns alle gerettet. Sie haben mich vor dem schrecklichsten Dilemma bewahrt, das ich je erfahren könnte, vor einem, das ich vielleicht nicht erfahren soll.
    Wie dem auch sei, weinen Sie nicht um Emaleth. Weinen Sie nicht um ein Volk von seltsamen, sanftäugigen Leuten, das längst von einer stärkeren Art von der Erde vertrieben wurde. So geht es zu auf der Welt, und wir sind beide ein Teil davon.
    Welche fremdartigen und namenlosen Kreaturen leben denn noch in den Städten und Dschungeln unseres Planeten?

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