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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kammgarnanzug und dem matten Schi m mer seines teuren Hemdes mit der dunkelroten Krawatte pa s sen wollte. Er sah entschieden romantisch aus. Aber was bedeutete das? Yuri war nicht sicher, aber das war das Wort, das ihm in den Sinn kam.
    Es war nichts Bedrohliches an dieser außergewöhnlichen und ziemlich förmlichen Gestalt. Ja, das Gesicht war glatt und jung, beinahe hübsch für einen Mann mit seinen langen, dic h ten Wimpern und den vollen, sanft geschwungenen androg y nen Lippen – und überhaupt nicht einschüchternd. Nur das Weiß in seinem Haar verlieh ihm eine gewisse Autorität, die er offensichtlich nicht regelmäßig zur Geltung brachte. Seine A u gen waren nußbraun und ziemlich groß, und sie schauten Yuri fragend an. Es war alles in allem eine beeindruckende Gestalt – bis auf die Hände. Die Hände waren ein bißchen zu groß, und die Finger hatten etwas Abnormales, auch wenn Yuri nicht genau wußte, was es war. Spinnenhaft dünn waren sie – vielleicht war es damit auf den Punkt gebracht.
    »Sie sind der Zigeuner«, sagte der Mann mit einer leisen, a n genehmen Stimme, die beinahe ein bißchen sinnlich klang, ganz anders als der schneidende Bariton des Zwerges.
    »Kommen Sie rein und setzen Sie sich«, sagte der Zwerg u n geduldig. Er hatte das Feuer angezündet und fachte es mit einem Blasebalg an. »Ich habe etwas zu essen bestellt, aber ich möchte, daß Sie ins Schlafzimmer gehen, wenn es g e bracht wird. Man soll Sie nicht sehen.«
    »Danke«, sagte Yuri leise. Er merkte plötzlich, daß er versäumt hatte, die dunkle Brille abzunehmen. Wie hell das Zimmer plötzlich war, trotz der dunkelgrünen Samtmöbel und der altmodischen Blumenvorhänge. Ein freundliches Zimmer, geprägt von Menschen.
    »Sie sind verwundet, sagt mein Freund.« Der große Mann kam näher und schaute so freundlich auf ihn herab, daß seine Größe nicht mehr beängstigend wirkte. Er hatte die Spinnenhände erhoben und ausgestreckt, als müsse er Yuris Gesicht mit den Fingern einrahmen, um es zu sehen.
    »Es geht schon. Es war eine Kugel, aber Ihr Freund hat sie herausgenommen. Ich wäre tot, wenn Ihr Freund nicht gewesen wäre.«
    »Das hat er mir erzählt. Wissen Sie, wer ich bin?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, was ein Taltos ist? Ich bin einer.«
    Yuri sagte nichts. Damit hatte er ebenso wenig gerechnet, wie er geglaubt hatte, daß die Kleinen Leute wirklich existierten. Taltos bedeutete Lasher – Mörder, Monster, Gefahr. Er war so erschrocken, daß er nicht sprechen konnte. Er starrte dem Mann ins Gesicht und dachte, daß dieser Mann – von seinen Händen einmal abgesehen – nicht mehr und nicht weniger zu sein schien als ein sehr großer Mensch.
    »Lieber Gott, Ash«, sagte der kleine Mann. »Zeig doch einmal ein bißchen Tücke.« Er klopfte seine Hose ab. Das Feuer brannte kräftig und hell. Er setzte sich in einen weichen, etwas formlosen Sessel, der sehr bequem aussah. Seine Füße b e rührten den Boden nicht.
    Es war unmöglich, in seinem tief zerfurchten Gesicht zu lesen. War er wirklich so unwirsch? Die Hautfalten vernichteten jede Mimik. Tatsächlich trug allein die Stimme allen Ausdruck bei dem kleinen Mann, der beim Sprechen nur gelegentlich die Augen hell und weit aufriß. Sein rotes Haar war ein angeme s senes Klischee für seine Ungeduld und sein aufbrausendes Temperament. Er trommelte mit seinen kurzen Fingern auf dem Stoffbezug der Armlehnen.
    Yuri ging zum Sofa und nahm steif an einem Ende Platz. Er sah, daß der große Mann an den Kamin getreten war und ins Feuer schaute. Er wollte dieses Geschöpf nicht unhöflich a n starren.
    »Ein Taltos«, sagte er, und seine Stimme klang einigermaßen ruhig. »Ein Taltos. Warum wollen Sie mit mir reden? Warum wollen Sie mir helfen? Wer sind Sie, und warum sind Sie gekommen?«
    »Sie haben den anderen gesehen?« fragte der große Mann. Er drehte sich um und sah Yuri an; sein Blick war beinahe schüchtern in all seiner Offenheit, aber dann doch wieder nicht. Er hätte umwerfend schön sein können, wenn die Hände nicht gewesen wären. Die Knöchel sahen aus wie Knoten.
    »Nein, ich habe ihn nie gesehen.«
    »Aber Sie wissen mit Bestimmtheit, daß er tot ist?«
    »Ja, das weiß ich mit Bestimmtheit«, sagte Yuri. Der Riese und der Zwerg. Er würde nicht darüber lachen, aber es war doch schrecklich erheiternd.
    »Hatte dieser Taltos eine Gefährtin?« fragte der große Mann. »Ich meine, noch einen Taltos? Einen weiblichen?«
    »Nein. Seine Gefährtin war eine

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