Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
hörte, wie die Tür sich schloß, aber er öffnete die Augen nicht. Er glitt bereits davon, weg von allem, und in einem Lichtstrahl traumhafter Realität, der ihn erfaßte und aufschre c ken ließ, sah er Mona, die auf der Bettkante saß und ihn au f forderte, zu kommen. Das Haar zwischen ihren Beinen war rot, aber dunkler als das auf ihrem Kopf.
    Er klappte die Augen auf. Zuerst war ihm nur die tiefe Dunkelheit bewußt, die Abwesenheit eines Lichts, das hätte da sein müssen. Dann erkannte er nach und nach, daß Ash n e ben ihm stand und auf ihn herabschaute. Von instinktiver Angst und Abscheu erfaßt, blieb Yuri still liegen und rührte sich nicht; sein Blick war starr nach vorn gerichtet und fixierte den Stoff von Ashs langem Mantel.
    »Ich werde Ihnen das Bild nicht wegnehmen, wenn Sie schl a fen«, flüsterte Ash. »Keine Angst. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich heute nacht noch in den Norden fa h ren und das Glen besuchen muß. Morgen werde ich zurück sein, und dann ist es wichtig, daß ich Sie hier antreffe.«
    »Ich war nicht sehr clever, nicht wahr?« sagte Yuri. »Daß ich Ihnen ihr Bild gezeigt habe. Ich war ein Trottel.«
    Er starrte immer noch den dunklen Wollstoff an. Dann sah er Ashs rechte Hand mit den weißen Fingern vor seinem Gesicht. Langsam drehte er sich um und blickte auf, und die Nähe des großen Gesichts erfüllte ihn mit Grausen, aber er gab keinen Laut von sich. Er spähte in die Augen, die ihn mit glasiger Neugier betrachteten, und richtete den Blick dann auf den ü p pigen Mund.
    »Ich glaube, ich werde wahnsinnig«, sagte Yuri.
    »Nein, das werden Sie nicht«, antwortete Ash. »Aber Sie müssen anfangen, von jetzt an klug zu sein. Schlafen Sie. Haben Sie keine Angst vor mir. Und bleiben Sie hier, in Siche r heit, bei Samuel, bis ich zurückkomme.«

 
4

    Das Leichenschauhaus war klein und schmutzig und bestand aus lauter Kämmerchen mit alten weißen Kacheln an den Wänden und auf den Fußböden, mit verrosteten Abflüssen und ächzenden Eisentischen.
    Nur in New Orleans, dachte sie, konnte es so aussehen. Nur hier würden sie einem dreizehnjährigen Mädchen erlauben, sich dem Leichnam zu nähern und ihn anzuschauen und in Tränen auszubrechen.
    »Geh hinaus, Mona«, sagte sie. »Ich will Aaron untersuchen.« Ihre Beine zitterten, und mit ihren Händen war es noch viel schlimmer. Es war wie in dem alten Witz: Man sitzt da und zuckt krampfhaft, jemand fragt: »Was machen Sie beruflich?« und man antwortet: »Ich bin G-g-g-gehirnchirurgin.«
    Sie stützte sich mit der linken Hand auf und lüftete das blutige Laken. Das Gesicht hatte der Wagen nicht zerstört: Es war Aaron.
    Dies war nicht der Ort, ihm die letzte Ehre zu erweisen, sich zu erinnern an seine mannigfaltige Güte und seine vergeblichen Versuche, ihr zu helfen. Ein einziges Bild vielleicht flackerte hell genug, um den Schmutz zu überstrahlen, den Gestank, die Schmach, die diesen einst so würdevollen Körper wie ein jämmerliches Häuflein auf den besudelten Tisch geworfen hatte.
    Aaron Lightner beim Begräbnis ihrer Mutter. Aaron Lightner, wie er ihren Arm nahm und sie durch die Menge dieser Wildfremden führte, die ihre Verwandten waren, zum Sarg ihrer Mutter. Aaron Lightner, der gewußt hatte, daß Rowan genau das tun wollte und tun mußte: den hübschen, geschminkten und parfümierten Leichnam Deirdre Mayfairs anzuschauen.
    Keine Kosmetik hatte diesen Mann berührt, der hier lag, das weiße Haar so glänzend, wie es immer gewesen war, Symbol seiner Weisheit wie auch einer ungewöhnlichen Vitalität. Die blassen Augen nicht geschlossen, aber unverkennbar tot. Sein Mund war entspannt und hatte vielleicht die vertraute, freundlichere Form angenommen, Merkmal eines Lebens, das mit erstaunlich wenig Bitterkeit, Zorn oder finsterem Humor gelebt worden war.
    Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und bewegte den Kopf ganz leicht hin und her. Sie schätzte, daß der Todeszeitpunkt weniger als zwei Stunden zurücklag.
    Der Brustkorb war zerquetscht. Blut durchfeuchtete Hemd und Jackett. Zweifellos war die Lunge sofort zusammengefallen, und vielleicht war schon vorher das Herz zerrissen.
    Sanft berührte sie seine Lippen, zog sie auseinander wie eine Liebende, die mit ihm spielte und sich anschickte, ihn zu küssen, dachte sie. Ihre Augen waren feucht, und das Gefühl der Trauer war plötzlich so übermächtig, daß die Düfte von Dei r dres Begräbnis zurückkehrten, das alles umschließende Pa r füm duftender

Weitere Kostenlose Bücher