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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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in Lumpenwams und Kniehosen. Dort hatte er am Feuer gehockt wie eine grausige Kröte; er hatte seine Kugeln gezählt und die Lücken in seinem Patronengurt aufgefüllt, er hatte seinen Whisky getrunken und ihn immer wieder auch Yuri angeboten. So betrunken war Yuri noch nie im Leben gewesen. Aber aus medizinischen Gründen, nicht wahr?
    »Rumpelstilzchen«, hatte Yuri gesagt, und der kleine Mann hatte geantwortet: »Sie können mich so nennen, wenn Sie wollen. Man hat mich schon Schlimmeres genannt. Aber mein Name ist Samuel.«
    »In welcher Sprache singen sie?« Und wann hören sie auf mit dem Gesinge und Getrommel!
    »In unserer Sprache. Seien Sie jetzt still. Ich kann sonst nicht zählen.«
    Jetzt saß der kleine Mann behaglich zurückgelehnt in einem zivilisierten Sessel wie in einem Nest, er war in zivilisierte Kleidung gehüllt und musterte eifrig den wunderbaren, weidenschlanken Riesen Ash, der sich mit seiner Antwort Zeit ließ.
    »Ja«, sagte Yuri, mehr um sich aus seinen Gedanken herauszureißen als aus irgendeinem anderem Grund. »Wie kommen Sie darauf, daß es eine Gruppe von außen ist?« Vergiß die Kälte und die Dunkelheit und die Trommeln – und den rasenden Schmerz von der Kugel.
    »Es ist zu täppisch«, sagte Ash. »Die Kugel aus einer Pistole. Das Auto, das auf den Gehweg rast und Aaron Lightner überfährt. Es gibt viele mühelose Arten, einen Menschen zu töten, bei denen kaum jemand etwas merkt. Die Gelehrten wissen das immer; sie haben es gelernt beim Studium der Hexen und Zauberer und anderer Fürsten der maleficia. Nein. Sie würden nicht ins Glen ziehen und einem Mann nachpirschen, als wäre er Jagdwild. Das kann nicht sein.«
    »Ash, die Pistole ist heute die Waffe des Glen«, wandte Samuel spöttisch ein. »Warum sollten Zauberer keine Pistolen benutzen, wenn die Kleinen Leute sie benutzen?«
    »Sie ist ein Spielzeug des Glen«, sagte Ash ruhig. »Und das weißt du. Die Männer der Talamasca sind keine Ungeheuer, die gejagt und bespitzelt werden, sich aus der Welt in die Wildnis zurückziehen müssen oder Angst in den Herzen der Menschen entfachen, wenn sie gesehen werden. Nein, nicht aus dem Kreise der Ältesten der Talamasca ist diese Bedr o hung gekommen, sondern sie ist das Verdrießlichste, was man sich nur vorstellen kann: eine kleine Gruppe von Auße n stehenden, die zufällig bestimmte Informationen in die Hände bekommen haben, die sie nun zu glauben belieben. Bücher, Disketten, wer weiß? Vielleicht wurden ihnen diese Gehei m nisse sogar von Bediensteten verkauft…«
    »Dann müssen wir ihnen vorkommen wie Kinder«, stellte Yuri fest. »Wie Mönche und Nonnen, die wir alle unsere Aufzeichnungen und Akten mit dem Computer erfassen, alte Geheimnisse sammeln und in Datenbanken stopfen.«
    »Wer war der Hexenmeister, der dem Taltos zum Vater wu r de? Wer hat ihn getötet?« fragte Ash plötzlich mit Nachdruck. »Sie haben gesagt, Sie verraten es mir, wenn ich Ihnen b e stimmte Dinge erzähle. Was kann ich Ihnen noch geben? Ich war mehr als aufrichtig. Wer ist dieser Hexer, der einen Taltos zeugen kann?«
    »Er heißt Michael Curry«, sagte Yuri. »Und sie werden wahrscheinlich versuchen, auch ihn zu ermorden.«
    »Nein, das wäre doch nicht in ihrem Sinne, oder?« widersprach Ash. »Im Gegenteil, sie werden versuchen, die Pa a rung noch einmal zustande zu bringen. Die Hexe Rowan…«
    »Kann keine Kinder mehr bekommen«, sagte Yuri. »Aber es gibt andere, eine ganze Familie, und eine ist dabei, die so mächtig ist, daß selbst…«
    Yuri wurde der Kopf schwer. Er preßte die rechte Hand an die Stirn und fühlte enttäuscht, daß sie so warm war. Wenn er sich vorbeugte, wurde ihm übel. Langsam ließ er sich zurücksinken und bemühte sich, seine Schulter nicht zu zerren oder ruckhaft zu bewegen, und dann schloß er die Augen. Er schob die Hand in die Hosentasche, zog sein kleines Portemonnaie he r aus und öffnete es.
    Aus dem verborgenen Fach zog er das kleine, sehr bunte Schulfoto von Mona: sein Liebling mit ihrem Lächeln, ihren gleichmäßigen Zähnen und dem wüsten Schöpf von krausem roten Haar. Kindhexe, geliebte Hexe – aber Hexe ohne Frage.
    Wieder wischte Yuri sich über die Augen und den Mund. Seine Hand zitterte so sehr, daß Monas hübsches Gesicht vor se i nen Augen verschwamm.
    Er sah, wie Ash die Ränder des Fotos mit langen, schmalen Fingern berührte. Der Taltos stand über ihm, den einen langen Arm hinter ihm auf die Sofalehne gestützt, während er mit der

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