Die Mayfair-Hexen
anderen Hand ruhig das Bild hielt, um es zu betrachten.
»Aus derselben Linie wie die Mutter?« fragte er leise.
Plötzlich zog Yuri das Foto an sich und drückte es flach an seine Brust. Er krümmte sich nach vorn; wieder wurde ihm übel, und der Schmerz in seiner Schulter ließ ihn für einen Augenblick erstarren.
Ash wich höflich zurück und trat an den Kamin. Das Feuer war ein wenig heruntergebrannt. Ash legte die Hände auf das K a minsims. Sein Rücken war sehr gerade, seine Haltung beinahe militärisch; sein volles, dunkles Haar lockte sich über dem Kragen und bedeckte seinen Nacken vollständig. Von seinem Platz aus konnte Yuri das Weiß in den Haaren nicht sehen, nur tief dunkle Locken, bräunlich schwarz.
»Dann werden sie also versuchen, sie in ihre Gewalt zu bringen«, sagte Ash, ohne sich umzudrehen und gerade so laut wie nötig. »Sie oder eine andere Hexe aus dieser Familie.«
»Ja«, sagte Yuri. Er war benommen und erregt zugleich. Wie hatte er denken können, daß er sie nicht liebte? Wie hatte sie plötzlich so weit von ihm entfernt sein können? »Sie werden versuchen, sie zu holen. O mein Gott, aber wir haben ihnen in die Hände gespielt«, sagte er; erst jetzt begriff er es, begriff es vollständig. »Guter Gott, wir haben in ihrem Sinne gearbeitet. Computer! Aufzeichnungen! Es ist genau das, was im Orden passiert ist!«
Er sprang auf. Seine Schulter pochte. Es kümmerte ihn nicht. Noch immer preßte er das Bild mit der flachen Hand an sein Hemd.
»Inwiefern haben wir ihnen in die Hände gespielt?« fragte Ash. Er drehte sich um, und der Feuerschein flackerte ihm übers Gesicht, so daß seine Augen fast so grün waren wie Monas und seine Krawatte aussah wie ein dunkler Blutfleck.
»Die genetischen Untersuchungen«, sagte Yuri. »Die ganze Familie unterzieht sich genetischen Tests, damit sich nie wi e der Hexe mit Hexe paart und womöglich einen Taltos zeugt. Begreifen Sie nicht? Da werden Aufzeichnungen zusamme n getragen, genetische, genealogische, medizinische Daten. In diesen Aufzeichnungen wird stehen, wer eine mächtige Hexe ist und wer nicht. Lieber Gott, sie werden dann wissen, wen sie sich holen müssen. Sie werden es besser wissen als der törichte Taltos! Mit diesem Wissen haben sie eine Waffe, die er nie hatte. Oh, er versuchte sich mit vielen von ihnen zu pa a ren. Er hat sie alle umgebracht. Alle starben, ohne ihm zu g e ben, was er wollte: ein weibliches Kind. Aber…«
»Darf ich das Bild der jungen rothaarigen Hexe noch einmal sehen?« bat Ash schüchtern.
»Nein«, sagte Yuri. »Das dürfen Sie nicht.«
Das Blut pochte ihm im Gesicht. Er spürte etwas Nasses an der Schulter. Er hatte sich die Wunde aufgerissen. Und Fieber hatte er auch.
»Das dürfen Sie nicht«, wiederholte er und starrte Ash an.
Ash sagte nichts.
»Bitte fragen Sie mich nicht danach«, sagte Yuri. »Ich brauche Sie. Ich brauche Ihre Hilfe sehr, aberbitten Sie mich nicht, I h nen ihr Gesicht zu zeigen. Nicht jetzt.«
Die beiden schauten einander an. Dann nickte Ash.
»Also gut«, sagte er. »Selbstverständlich werde ich Sie nicht wieder bitten, es mir zu zeigen. Aber eine so starke Hexe zu lieben ist sehr gefährlich. Das wissen Sie, oder?«
Yuri antwortete nicht. Im Augenblick wußte er alles – daß A a ron tot war, daß Mona bald etwas zustoßen konnte, daß ihm fast alles, was er je geliebt und geschätzt hatte, genommen worden war, fast alles, und daß ihm nur noch eine kärgliche Hoffnung auf Glück oder Zufriedenheit oder Freude geblieben war, und daß er zu schwach und müde und verletzt war, um noch zu denken, und daß er sich im Zimmer nebenan in das Bett legen mußte, auf das er vorhin nicht einmal einen Blick zu werfen gewagt hatte, das erste Bett, das er gesehen hatte, seit die Kugel ihn getroffen und beinahe getötet hatte. Er wußte, niemals, niemals hätte er Monas Bild diesem Wesen zeigen dürfen, das dort stand und ihn mit trügerischer Sanftmut und scheinbar unübertrefflicher Geduld anschaute. Und er wußte, daß er jetzt gleich an Ort und Stelle umfallen würde.
»Kommen Sie, Yuri«, sagte Samuel mit mürrischer Behutsamkeit und kam auf ihn zu. Eine knorrige Hand griff nach Yuris. »Ich bringe Sie jetzt ins Bett. Schlafen Sie. Wenn Sie aufw a chen, warten wir mit einem warmen Abendessen auf Sie.«
Yuri ließ sich zur Tür führen.
Dann ging er ins Schlafzimmer und fiel zu seiner eigenen Überraschung benommen auf das Bett. Der kleine Mann zog ihm die Schuhe aus.
Er
Weitere Kostenlose Bücher