Die Mayfair-Hexen
Laß uns fahren.«
»Wir fahren ja. Bist du unglücklich? Vielleicht wird dir erst jetzt so allmählich alles klar.«
»Selbstverständlich bin ich nicht unglücklich. Weshalb sollte ich unglücklich sein? Ich denke an Aaron. Haben Michael oder Rowan angerufen?«
»Nein, noch nicht. Wahrscheinlich schlafen sie gerade. Was ist denn, Mona?«
»Ryan, mir ist nur kalt, okay? Die Leute fragen mich dauernd, was los ist. Nichts ist los. Es passiert bloß alles… schrecklich schnell.«
»Du hast einen ganz ungewohnten Gesichtsausdruck«, stellte Ryan fest. »Als ob du Angst hättest.«
»Nein. Ich frage mich bloß, wie es wohl sein wird. Mein eigenes Kind. Du hast es doch allen gesagt, oder? Keine Predigten, keine Vorträge.«
»Das war gar nicht nötig«, sagte er. »Du bist die designierte Erbin des Vermächtnisses. Niemand wird dir Vorhaltungen machen. Wenn überhaupt jemand dafür in Frage käme, wäre ich es ja wohl. Aber ich bringe es nicht über mich, die erforderlichen Reden zu halten, die üblichen Warnungen und Vorbehalte auszusprechen.«
»Brav«, sagte sie.
»Wir haben so viele verloren, und hier kommt ein ganz neues Leben; ich sehe es wie eine Flamme, und ich möchte immer die Hände davor halten, um sie zu schützen.«
»Jetzt flippst du aus, Ryan. Du bist wirklich müde. Du mußt dich ein bißchen ausruhen.«
»Möchtest du es mir jetzt sagen?«
»Was?«
»Wer der Vater ist, Mona. Du hast doch vor, es uns zu sagen, oder? Ist es dein Cousin David?«
»Nein, es ist nicht David. Vergiß David.«
»Yuri?«
»Was ist das – Siebzehnundvier? Ich weiß, wer der Vater ist, wenn es dir darum geht. Aber ich will jetzt nicht darüber reden. Die Identität des Vaters kann bestätigt werden, sobald das Baby auf der Welt ist.«
»Das geht vorher.«
»Aber ich will nicht, daß mit Nadeln in das Baby gestochen wird! Ich will nicht, daß es bedroht wird. Ich sage doch, ich weiß, wer der Vater ist, und ich sag’s dir, wenn es… wenn ich die Zeit für richtig halte.«
»Es ist Michael Curry, nicht wahr?«
Sie fuhr herum und funkelte ihn an. Es war zu spät, die Frage abzuwimmeln. Er hatte die Antwort in ihrem Gesicht gelesen. Und er sah so erschöpft aus, gar nicht so kraftvoll und aufrecht wie sonst.
»Gifford hat es mir gesagt.« Er sprach langsam und immer noch wie benebelt. Er schaute aus dem Fenster; sie fuhren langsam die St. Charles Avenue hinunter, auf ihren hübschesten Abschnitt zu, wo neuere Villen und sehr alte Bäume standen.
»Wie bitte?« fragte sie. »Gifford hat es dir gesagt? Ryan, ist alles in Ordnung mit dir?« Was würde aus der Familie werden, wenn Ryan den Verstand verlor? Sie hatte so schon genug Sorgen. »Ryan, antworte.«
»Es war ein Traum, den ich letzte Nacht hatte.« Er drehte sich endlich zu ihr um. »Gifford sagte, der Vater ist Michael Curry.«
»War sie glücklich oder traurig?«
»Glücklich oder traurig…« Er dachte nach. »Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht.«
»Oh, das ist ja toll. Selbst jetzt, wo sie tot ist, kümmert sich kein Mensch um das, was sie sagt. Sie erscheint dir im Traum, und du paßt überhaupt nicht auf.«
Das erschreckte ihn, aber nur ein wenig. Beleidigt war er nicht, soweit sie es erkennen konnte. Als er sie ansah, war sein Blick abwesend und sehr friedlich.
»Es war ein schöner Traum, ein guter Traum. Wir waren zusammen.«
»Wie sah sie aus?« Irgend etwas stimmte wirklich nicht mit ihm. Ich bin allein, dachte sie. Aaron ist ermordet worden. Bea braucht unser Mitgefühl. Rowan und Michael haben sich noch nicht gemeldet, wir alle haben Angst, und jetzt fängt Ryan an zu spinnen.
»Wie sah Gifford denn aus?« fragte sie.
»Hübsch, wie sie immer ausgesehen hat. Für mich hat sie immer gleich gut ausgesehen, ob sie fünfundzwanzig war oder fünfunddreißig – oder von mir aus fünfzehn. Sie war meine Gifford.«
»Was hat sie getan?«
»Warum willst du das wissen?«
»Ich glaube an Träume. Ryan, bitte erzähl’s mir. Überleg doch mal – hat Gifford irgend etwas getan?«
Er zuckte die Achseln und lächelte leise. »Sie hat ein Loch gegraben. Ich glaube, unter einem Baum. Ich glaube, es war Deirdres Eiche. Ja, dort war es, und um sie herum waren Berge von Erde.«
Mona antwortete nicht gleich. Sie war so erschüttert, daß sie ihrer Stimme nicht vertraute.
Ein Schmerz durchfuhr ihren Kopf, sehr scharf, durch beide Schläfen. Vielleicht wurde ihr von den Bewegungen des Autos schlecht. Das konnte passieren, wenn man schwanger
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