Die Mayfair-Hexen
alle noch etwas Geduld. Ich werde die Informationen weiterleiten, sobald sie da sind. Was wir jetzt wissen, ist, daß in diesem Hause etwas Schreckliches geschehen ist. Eindringlinge sind gekommen und gegangen. Vielleicht hat es noch weitere Sicherheitsmängel gegeben. Wir wissen noch nicht, ob zwischen all diesen Ereignissen ein Zusammenhang besteht.«
»Stuart«, rief Elvera und ihre Stimme wurde schrill, »dieser Mann hat mich gefragt, ob ich wüßte, daß Aaron tot ist! Er ist in mein Zimmer gekommen und hat angefangen, von Aaron zu reden!«
»Natürlich besteht ein Zusammenhang«, sagte Joan Cross. Joan saß jetzt seit einem Jahr im Rollstuhl. Sie sah unglaublich gebrechlich aus; sogar ihr kurzes weißes Haar wurde schütter, aber ihre Stimme klang ungeduldig und herrisch wie immer. »Stuart, oberste Priorität ist es, daß wir die Identität dieses Mörders herausfinden. Wir lassen uns von den Behörden erzählen, daß die Fingerabdrücke nicht zurückverfolgt werden können. Aber wir wissen, daß dieser Mann von der Familie Mayfair gekommen sein könnte. Das wissen die Behörden nicht.«
»Ja… alles hängt irgendwie zusammen, so sieht’s aus, nicht wahr?« Stuart stammelte tatsächlich. »Aber weitere Hinweise haben wir nicht. Das war es, was ich damit sagen wollte.« Plötzlich richteten sich seine tiefliegenden Augen auf Marklin, der am hintersten Ende des Tisches saß und ihn ruhig anschaute.
»Meine Herren, um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Ich bin absolut ungeeignet für die Nachfolge Antons.« Stuart riß sich von Marklins Anblick los und schaute suchend in die Runde. »Ich glaube… ich glaube, ich sollte das Zepter an Joan weiterreichen, wenn es der ganzen Versammlung recht ist. Ich schaffe es nicht, weiterzumachen!«
Stuart, wie konnten Sie…! Marklin starrte auf den Tisch und bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen, wie er noch vor wenigen Augenblicken versucht hatte, sein triumphierendes Lächeln zu verstecken. Er sitzt am Steuer, dachte er, und kann nicht fahren. Er tritt gerade dann zurück, wenn er die Kommunikation behindern muß, die alles beschleunigen wird. Trottel.
»Ich habe keine Alternative«, sagte Stuart laut, als spreche er mit seinem Novizen. »Ich bin zu… ich bin zu bestürzt über Aarons Tod, als daß ich von Nutzen sein könnte.«
Interessantes Statement, kluges Statement, dachte Marklin. Stuart hatte ihnen immer eingeschärft: Wenn ihr ein Geheimnis habt, das ihr vor den Gedankenlesern in eurer Umgebung verbergen müßt, dann denkt an etwas, das der Wahrheit sehr nahe kommt.
Stuart hatte sich erhoben. Er übergab den Vorsitz an Joan Cross. Zustimmende Rufe und Beifall kamen von allen Seiten. Sogar Elvera nickte. Der junge Crawford, einer von Joans Schülern, manövrierte ihren Rollstuhl ans Kopfende des Tisches. Stuart zog sich zur Wand zurück. Er wollte sich hinausschleichen!
Nicht ohne mich, dachte Marklin. Stuart würde ihm nicht entkommen, er würde sich nicht an den geheimen Ort flüchten, an dem er Tessa verwahrte. Nein, das würde nicht geschehen.
Wieder gab es Aufruhr. Einer der alten Männer beschwerte sich; er meinte, in einem solchen Notfall sollten die Ältesten sich zu erkennen geben. Ein anderer befahl dem Alten zu schweigen und so etwas nie wieder zu erwähnen.
Stuart war fort! Marklin rutschte von seinem Stuhl und eilte durch die nördliche Tür hinaus. Er sah Stuart vor sich, meilenweit, wie es schien; er ging auf das Arbeitszimmer des Generaloberen zu. Marklin wagte nicht, ihn zu rufen. Zwei jüngere Ordensmitglieder begleiteten Stuart – Ansling und Perry, zwei Sekretariatsassistenten. Sie waren von Anfang an eine Bedrohung für die Operation gewesen, auch wenn keiner von ihnen genug Verstand gehabt hatte, zu merken, daß etwas nicht stimmte.
Unvermittelt verschwand das Trio durch die Flügeltür, und die Tür schloß sich. Marklin stand allein im leeren Flur.
Ein Holzhammer ertönte im Ratszimmer, oder etwas ganz Ähnliches. Marklin starrte die Tür an. Unter welchem Vorwand konnte er dort eintreten? Sollte er seine Hilfe anbieten, sein Beileid bekunden? Jeder kannte seine Hingabe an Stuart. Lieber Gott, was würde er denn unter normalen Umständen tun, wenn er nicht… Nicht nachdenken, niemals klar darüber nachdenken, nicht in diesem Hause.
Er sah auf die Uhr. Was taten sie dort drinnen? Wenn Stuart von seinem Amt zurückgetreten war, wieso hielt er sich dann überhaupt in diesem Büro auf? Vielleicht spulte das Faxgerät gerade
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