Die Medica von Bologna / Roman
Wunde, habe er den Stumpf der Nase gedrückt und ihn dort so fest fixiert, dass der Patient nicht einmal mehr den Kopf schütteln konnte. Diese Vorgehensweise, so führte Gaspare aus, sei natürlich völliger Unsinn, da ein zerstörter Muskel keine Nasenspitze ersetzen könne. Ähnlicher Unsinn sei es, aus der Haut des Schweins eine Nase rekonstruieren zu wollen, obwohl einige Besserwisser immer wieder behaupteten, es ginge.
Andrea della Croce, ein Arzt mit ähnlich zweifelhaften Ansichten, verdamme sogar gänzlich die formende und aufbauende Chirurgie. Er empfehle, das abgetrennte Stück Nase sofort wieder anzunähen und ein lebendes junges Küken oder eine Taube daraufzulegen, um die Auskühlung während des Anwachsens zu verhindern.
Anders dagegen verhalte es sich mit der Familie Vianeo aus Tropea, ihre Mitglieder seien keine
ciarlatani.
Die Brüder Pietro und Paolo hätten schon vor Jahrzehnten alles richtig gemacht, im Wesentlichen jedenfalls. Allerdings hätten sie es versäumt, ihre Kunst in allen Einzelheiten zu dokumentieren, und die wahre Kunst läge sowieso im Detail und in der Schönheit des Ergebnisses. Das sei auch die Meinung des großen Giulio Cesare Aranzio.
Gleiche Anerkennung wie die Vianeos verdiene Heinrich von Pfolspeundt, ein deutscher Arzt, der eine Anweisung darüber geschrieben habe, was bei einer vom Hunde komplett verschlungenen Nase zu tun sei. Pfolspeundt hätte jedoch statt der
tubuli
etwas anderes empfohlen, nämlich mit Wachs gefüllte Federkiele.
Mangelhafte oder gar fehlende Ergebnisse, das müsse ebenfalls erwähnt werden, hätten so bekannte Ärzte wie Ambroise Paré, Borgarucci, Daza Chacon und sogar Vesalius vorzuweisen. Entweder, weil von ihnen niemals eine derartige Operation vorgenommen worden sei – weshalb sie eigentlich gar nicht mitreden dürften – oder weil sie eine fehlerhafte Ausführung empfohlen hätten.
Ob sich Fabio während dieser oft recht weitschweifenden Erklärungen langweilte, war nicht zu erkennen – er saß stets mit freundlicher Miene in seinem Bett, lachte an manchen Stellen und weinte gleichzeitig, um seine Tränenkanäle geschmeidig zu halten.
Ich dagegen hörte Gaspare mit großem Interesse zu und merkte mir jeden Namen und jedes Wort.
Anfang November des Jahres 1574 rückte endlich der große Augenblick heran: Ich vollzog den Sechsten Akt und händigte Fabio das
tectorium
für die nächtliche Nasenformung und die
tubuli
für die Bildung der Nasenlöcher aus. »Nun möge der Siebte und letzte Akt beginnen«, sagte ich.
»Ich danke Euch, Schwester.«
»Ich danke dir auch, Fabio. Du warst ein sehr angenehmer Patient, der niemals über Schmerzen geklagt hat.«
»Ich hatte schon größere.«
»Ja, ich weiß, du sagtest es. Ich nehme an, sie hängen mit den Abgründen der menschlichen Seele zusammen, in die du oftmals hineinschauen musstest. Kennst du mich inzwischen gut genug, um mir die Wahrheit über diese Abgründe anvertrauen zu können?«
Fabio schaute mich mit seinen blinden Augen an. »Ja, ich glaube schon, Schwester. Ihr seid eine bemerkenswerte junge Frau. Ich sage immer, es gibt dreierlei Arten von Schmerzen: Beschwerden, Leiden und Torturen. Die Torturen sind die schlimmsten. Ich musste sie unter der Folter der Inquisition ertragen. Die Häscher warfen mich auf eine Streckbank und banden meine Füße hoch, dann strichen sie mir Salz auf die Sohlen und holten mehrere Ziegen. Die leckten das Salz ab. Es kitzelte ein wenig wegen ihrer rauhen Zungen, mehr nicht. Als das Salz abgeleckt war, wurde es erneuert, und wieder leckten die Ziegen. Aus dem Kitzeln wurde ein Kratzen und aus dem Kratzen ein Raspeln. So leckten sie mir die Haut von den Füßen und nach der Haut das Fleisch, sie leckten und leckten, bis ihre unermüdlichen Zungen schließlich auf den blanken Knochen landeten. Seitdem humpele ich.«
Ich musste an mich halten, um mich nicht zu übergeben. Das, was ich gehört hatte, war so widerwärtig, so ungeheuerlich, dass ich es kaum glauben mochte. Aber ich kannte Fabio mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er nicht log.
»Sie taten es, weil ich denunziert worden war. Die Verleumder hatten leichtes Spiel, denn wer aussieht wie ich, dem traut man ohne weiteres zu, ein Ketzer zu sein. Dabei hatte ich bei der ganzen Sache noch Glück, da sie mich irgendwann laufen ließen. Ich war wohl ein zu kleines Licht, zu unwichtig, als dass sie sich länger mit mir beschäftigen wollten.«
Ich schwieg, denn ich dachte an mein
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