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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wenn ich drüben bin?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber du könntest die Mutter fragen, wie groß der Bruch ist.«
    »Ja, Herrin!«, rief Latif begeistert. »Ich danke Allah, dass er Euch wieder mit Neugier segnet!«
    »Ich bin nicht neugierig«, sagte ich.
    Wenig später stand er wieder vor mir, kurzatmig vom schnellen Laufen, aber mit fröhlicher Miene: »Die Mutter sagt, der Bruch sitzt rechts, Herrin, und er ist so groß wie ein Apfel.«
    »Hol die Mutter her, und bring Teresa gleich mit.«
    Die Mutter war eine noch junge Frau mit verhärmten Gesichtszügen, in denen der Hunger saß. Sie trug einen Arbeitskittel und hatte rote, rissige Hände. »
Buongiorno,
Signorina«, sagte sie leise. »Wie ich sehe, liegt Ihr noch im Bett, ich will nicht lange stören …«
    »Ihr stört nicht.«
    »Verzeiht meinen Aufzug, aber ich war gerade bei der Wäsche. Die vornehmen Damen, für die ich arbeite, warten nicht gern.«
    »Signora Mezzini ist Wäscherin«, erklärte Latif.
    Ich ging nicht darauf ein und fragte: »Wisst Ihr, wie der Bruch bei Teresa entstanden ist?«
    »Beim Seilspringen, glaube ich. Ja, beim Seilspringen, nicht wahr, Teresa?«
    »Ja«, piepste die Kleine.
    »Wie lange ist das her?«
    »Oh, vielleicht ein halbes Jahr.«
    Ich sagte nichts. Es war nicht selten, dass bei Kindern Brüche auftraten. »Leidet Ihr oder jemand aus Eurer Verwandtschaft ebenfalls unter einem Bruch?«
    »Nein, Signorina. Soviel ich weiß, nicht.«
    »Es ist gefährlich, einen Bruch nicht zu behandeln. Ihr solltet Teresa ein Bruchband anfertigen lassen. Das soll sie tragen, damit die Eingeweide in die Bauchhöhle zurückgeschoben werden.«
    »Ja, Signorina, äh, es ist nur …« Signora Mezzini blickte verlegen zu Boden.
    Latif sagte: »Die Signora hat viele reiche Kundinnen, aber nicht alle zahlen immer pünktlich.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Das Problem kannte ich von meiner eigenen Mutter.
    »Wenn Ihr einverstanden seid, Herrin, werde ich das Geld für ein solches Band erst einmal vorstrecken.«
    Ich nickte.
    Signora Mezzini strich ihrem Töchterchen übers Haar. »Ihr seid eine gute Nachbarin, wenn ich das sagen darf, Signorina. Teresa und ich danken Euch sehr, nicht wahr, Teresa?«
    »Jaha«, sagte die Kleine.
     
    Mehrere Tage gingen ins Land, meine Teilnahmslosigkeit kehrte zurück, obwohl Latif die üblichen Anstrengungen unternahm, um sie zu durchbrechen. Es gelang ihm nicht. Doch nach einer Woche hörte ich morgens wieder das Weinen. Es war zweifellos Teresa, die da schluchzte, und ich fragte Latif: »Was hat das zu bedeuten?«
    »Teresa wird wieder gehänselt, Herrin.«
    »Warum?«
    »Weil sie das Bruchband trägt. Es ist ein schönes neues Band aus Leder, ich habe es extra bei einem Sattler in der Nähe anfertigen lassen, aber es zeichnet sich unter dem Kleid ab, und die Kinder zeigen mit dem Finger darauf und machen sich darüber lustig.«
    »Sie sollen das lassen«, sagte ich müde.
    Latif hob beschwörend die Hände. »Wer bin ich, dass ich das ändern könnte, Herrin! Wenn ich die Rangen zur Rede stelle, lachen sie genauso über mich.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Möchtet Ihr, dass die Bande weiterlacht?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Dann tut etwas für Teresa. Durch den Bruch ist die Kleine genauso entstellt wie … wie andere Kinder.«
    »Ja«, sagte ich, und etwas regte sich in meinem Hirn. »Vielleicht sollte man Teresa operieren.«
    Latifs Augen leuchteten. »Wie recht Ihr habt, Herrin! Wann werdet Ihr es machen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich es noch kann.«
    »Natürlich, Herrin, natürlich könnt Ihr es!«
     
    Der folgende Tag war ein herrlicher Sommertag. In der Nacht zuvor hatte es ausgiebig geregnet, so dass die Luft frisch und rein duftete. Noch am Morgen hatte ich gezögert, ob ich in der Lage wäre, die Operation durchzuführen, aber Latif war mit der Venusmaske in mein Zimmer gekommen und hatte gesagt: »Setzt sie auf, Herrin. Sie wird Euch beruhigen und Euch Kraft geben.« Ich hatte es getan und tatsächlich gefühlt, wie ein Großteil der Hemmungen von mir wich.
    Nun stand ich auf der Dachterrasse meines Hauses im gleißenden Sonnenlicht. Neben mir ein Holztisch, auf dem mein chirurgisches Besteck blitzte, und vor mir ein extra von Latif heraufgeschafftes Bett, auf dessen Rand Signora Mezzini mit ihrem Töchterchen saß. Beide waren sichtlich aufgeregt, aber ich sagte ihnen, dass dies normal sei, allen Patienten erginge es so. Deshalb würde ich die goldene Maske der Venus tragen, der Göttin der Schönheit.

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