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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Carmichael
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sich auf die Zwillinge, und das Gezänk erstarb zu brütendem Schweigen. Der junge Hunter war der einzige der Gesellschaft, dem der Ausflug Spaß machte. Er trabte mit gespitzten Ohren und wachen Augen neben Olivia und Curly her und stürzte sich auf alles, was sich im gefrorenen Gras bewegte.
    Olivias Bauchkrämpfe ließen im Lauf des Vormittags nach, doch ihre Stimmung wurde nicht besser. Gabriel ritt schweigend an der Spitze des kleinen Zuges. Für ihn war ihr Entschluß zu gehen eine Zurückweisung seines Antrags und seiner Liebe. Olivia hatte sie nicht als Zurückweisung gemeint, glaubte aber, daß ihre Entscheidung für sie beide das Beste sei. Sie und Gabriel waren ein zu ungleiches Paar. Sie liebte ihn aufrichtig, aber sie konnte ihm nie die Frau sein, die er brauchte. Er liebte sie, davon war Olivia überzeugt, aber er verstand nicht, daß ihr der Arztberuf ebenso wichtig war wie ihre Weiblichkeit. Dinge, die von größter Wichtigkeit in ihrem Leben waren, hatten für ihn keine Bedeutung.
    Bei all ihrer Liebe und ihrem gegenseitigen Verlangen konnten sie niemals ein glückliches Leben miteinander führen. Diese letzte Erkenntnis machte sie unsagbar traurig.
    Wie um sie zu verhöhnen, waren die Berge an diesem Tag besonders schön. Die Gipfel und Nordhänge waren schneebedeckt, das gleißende Weiß strahlte mit dem azurblauen Himmel um die Wette. Tannen, Fichten und Föhren trugen ihren Winterschmuck. Eiszapfen hingen blauglitzernd von den Ästen, bogen sich unter ihren Schneeumhängen wie Hermelincapes auf Damenschultern. Es roch nach Kälte, Tannenduft und Wassermelonenschnee.
    Die Berge würden ihr fehlen; ihr gelassenes Schweigen, ihre majestätischen Gipfel, die lieblichen Täler. Das Heulen des Windes durch die Tannenwipfel würde sie vermissen und das gleißende Weiß der Schnee- und Gletscherfelder. Sie würde sich nach der stillen Lichtung, auf der Gabriels Hütte stand, den duftenden Teppich aus Fichtennadeln sehnen. Sie würde die Zwillinge und ihre Zänkereien vermissen, ihr Schmollen, ihr Lächeln, ihr ausgelassenes Lachen.
    Am schmerzlichsten würde ihr Gabriel Danaher fehlen.
    Die Lawine sah etwas anders aus als beim letzten Mal. Der See, der sich hinter dem Schneewall aufgestaut hatte, war nur noch ein gefrorener Tümpel; das meiste Stauwasser war durch eine Rinne zwischen Geröll und Schnee abgeflossen. Für Olivia sah der Weg durch die Rinne passierbar aus, die der Thunder Creek sich gebohrt hatte. Man mußte auf der anderen Seite um den Tümpel herumreiten, vorsichtig an der steil abfallenden Felswand entlang und dann der Rinne durch gefrorenen Schlamm und Felsbrocken folgen. Der Blick auf die andere Seite der Lawine war versperrt, aber sie stellte sich vor, daß man in Serpentinen rutschend den steilen Abhang unbeschadet unten ankam.
    »Der Weg ist noch immer nicht passierbar«, erklärte Gabriel mit Bestimmtheit.
    »Ich denke schon«, protestierte Olivia.
    »Du kannst das wohl kaum beurteilen.«
    »Verzeih, wenn ich an deiner Objektivität zweifle.«
    Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Wir sehen uns die Sache näher an. Katy und Ellen, ihr bleibt hier.«
    »Ach Pa!« maulte Katy. »Warum?«
    »Weil Olivia und ich etwas zu besprechen haben, und wir keine neugierigen Lauscher brauchen können.«
    »Aha.« Sie zuckte die Achseln. »Okay.«
    Bei näherer Prüfung wirkte die Passage bedenklich, aber möglich, wenn man sich vorsah.
    »Es ist zu gefährlich«, beharrte Gabriel.
    »Wenn wir darauf warten, bis der Weg völlig ungefährlich ist, wird es Sommer. Oder vielleicht wäre es dir lieber, solange zu warten, bis man eine gepflasterte Straße herauf baut.«
    »Du wirst richtig hochnäsig, Doc.«
    »Gabriel! Die Entscheidung fällt mir nicht leicht. Ich muß nach Elkhorn zurück. Amy Talbot braucht mich, und sie ist vermutlich krank vor Sorge wegen meines Verschwindens. Ich darf sie nicht länger alleine lassen als absolut notwendig ist.«
    »Gehst du zu Amy, Olivia? Oder läufst du von mir fort?«
    Beides, gestand Olivia sich ein. Ihre guten Absichten würden Gabriels Verführungskünsten nicht standhalten. Sie würde wieder in seinen Armen und in seinem Bett landen. Ihr nächster Versuch, Vernunft anzunehmen und in ihre eigene Welt zurückzukehren, würde dann um so schwieriger, vielleicht sogar unmöglich werden. Sie würde sich vermutlich einreden, die Liebe könne alles gutmachen und würde sich zu einer Ehe überreden lassen, die für beide in einer Katastrophe münden

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