Die Medizinfrau
einer Blockhütte lebte, über offenem Feuer kochte, auf eine Strohmatratze schlief und in der Blechwanne badete, in der auch die Wäsche gewaschen wurde? Dies war nicht Olivia Baron, nicht diese Wilde, die in einem abgetragenen Flannellnachthemd auf einem grob gezimmerten Stuhl saß und das Für und Wider eines Heiratsantrages von einem Mann überlegte, mit dem sie sich jede Nacht ohne die geringste Scham im Bett herumwälzte, den sie liebte …
Vielleicht wußte sie selbst nicht mehr, wer Olivia Baron war.
Gabe hatte sie nicht aus den Augen gelassen. Seine Blicke durchdrangen sie und forderten eine Antwort.
»Gabriel …« Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, schaute in seine tiefgrünen, abwartenden Augen, und sie konnte nicht nein sagen. Wenn sie aber ja sagte, würde sie Pläne aufgeben, die sie seit ihrer Kindheit hatte, sie würde all das aufgeben, was sie sich in den letzten Jahren so hart erkämpft hatte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Er kauerte neben ihrem Stuhl, seine Stirn war wieder glatt. »Sag ja, Olivia. Liebe darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie begegnet uns nicht oft im Leben.«
»Ich liebe dich, Gabriel.« Sie senkte den Kopf und umfing ihre Knie enger. Ihr Verstand war blockiert. »Ich brauche Zeit, um nachzudenken.«
»Dann bleib hier und denke nach. Ich dränge dich nicht, Doc. Ich will dich nicht verlieren.«
»Ich kann nicht bleiben. Wenn ich bleibe, liege ich bald wieder in deinem Bett. Ein Lächeln von dir, eine Berührung« – ein Schauder durchrieselte sie, diesmal nicht vor Kälte – »und schon ist es um mich geschehen.«
Er lächelte, und in ihr regte sich Verlangen bei dem Besitzanspruch dieses Lächelns.
»Sieh mich nicht so an!«
»Wie was?«
»Wie ein Hahn, der durch den Hühnerstall stolziert. Für eine Ehe braucht man viel mehr als nur Lust – oder auch Liebe!«
»Denkst du, das weiß ich nicht?«
»Gabriel, ich will nicht, daß wir uns beide in etwas stürzen, was uns unglücklich macht. Wir müssen uns trennen, um darüber nachzudenken, was wir wirklich wollen.«
Seine Lippen wurden schmal.
»Und außerdem braucht Amy mich. Ich muß nach Elkhorn zurück. Wenn du immer noch übers Heiraten reden willst, komme ich zurück, wenn Amy ihr Kind im Februar zur Welt gebracht hat.«
»Februar? Guter Gott, Olivia! Es gibt andere Ärzte, die sich um Amy kümmern können. Ich brauche dich. Katy und Ellen brauchen dich. Bis Februar könnten wir verheiratet und längst von hier fortgegangen sein. Ich will ein neues Leben beginnen. Du hast mir klargemacht, daß ich ein neues Leben beginnen muß. «
»Gabriel, ich habe es Amy versprochen.«
»Du hast mir auch etwas versprochen.«
»Was hab’ ich dir versprochen?«
»Es stand in deinen Augen, als du sagtest, du liebst mich, und jedesmal wenn wir zusammen waren. Dein Herz stand in deinen Augen, und es gehörte mir. Nimm es mir nicht weg.«
Das konnte sie nicht leugnen. Ihr Herz gehörte ihm mit jeder Faser, doch sie war stets der Überzeugung, daß ein Mensch sich vom Verstand, nicht vom Herzen lenken lassen müsse.
»Gabriel, ich muß zurück.«
Er diskutierte nicht weiter. Er verwandelte sich wieder in den kalten Fremdling, der sie gezwungen hatte, mit ihm in die Berge zu reiten, ein Mann mit kalten Augen und zornigen Bewegungen.
Als die Zwillinge vom Speicher herunterkamen, verkündete er, daß sie zum Weg hinunterreiten würden, um nachzusehen, ob er passierbar war – alle miteinander.
»Willst du immer noch nach Elkhorn?« fragte Katy verständnislos.
»Ich muß zurück, Katy.«
»Wieso?«
»Meine beste Freundin braucht mich, wenn sie ihr Baby bekommt.«
»Ellen und ich dachten, du bleibst jetzt bei uns. Wir dachten, du magst uns.«
Olivia nahm Katys Hand. »Ich mag euch nicht nur, Katy, ich liebe euch. Ich liebe euch Mädchen, und ich liebe euren Vater. Aber manchmal sind Verpflichtungen vorrangig.«
»Dann kommst du also zurück?« fragte Ellen gespannt.
»Wir werden sehen.« Gabriels Blick und sein verschlossener Gesichtsausdruck ließen Olivia daran zweifeln, ob er sie zurückhaben wollte.
Der Ritt verlief in gespannter Atmosphäre. Anfangs hallten die lauten Stimmen der Mädchen durchs Tal. Katy verfluchte Murdoch lauthals. Offenbar war Olivia nicht die einzige Reiterin, die der störrische Appaloosa zur Raserei brachte. Ellen schalt Katy wegen ihrer Flucherei, und danach fanden die beiden ständig Grund zum Streiten. Die stumme Spannung zwischen Gabriel und Olivia übertrug
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