Die Medizinfrau
hinausschrie, was er und sein Bruder an jenem Tag verbrochen hatten.
Das vertraute alte Lied vermochte Gabes Blut nicht in Wallung zu bringen. Vergeltung hatte sich von Leidenschaft in Pflicht verwandelt. Seine Leidenschaft galt Olivia Baron, die sie ganz für sich allein beanspruchte.
Es wäre schön, sie noch einmal zu sehen. Ein letztes Mal.
Er mußte zurück, ermahnte Gabe sich. Katy und Ellen waren allein in der Hütte.
Die Zwillinge konnten besser auf sich aufpassen als mancher Mann. Er konnte sie getrost einige Tage allein lassen. Es gab viel Arbeit in der Mine, wandte er ein.
Auch die konnte warten.
Er war ein Narr, schalt Gabe sich. Wunden heilten nicht, wenn man immer wieder darin herumstocherte.
Unsinn. Er mußte Olivia warnen, damit sie sich vor Jeb in acht nehmen konnte. Und die Pferde waren erschöpft. Er war auch müde. Was konnte es schaden, wenn er noch einen Tag blieb?
Gabe nahm Longshot den Sattel wieder ab, führte sie zurück in den Verschlag und legte sich auf einen Strohballen zum Schlafen.
»Ich weiß, daß zwischen dir und diesem Mann etwas war, Olivia. Mich kannst du nicht täuschen.«
Olivia schnalzte ungeduldig mit den Zügeln. Das Pferd, das ihren Buggy zog, warf den Kopf hoch und setzte sich in Bewegung. »Ich habe nur gesagt, ich hoffe, er gerät nicht in einen Schneesturm.«
»Es ist die Art, wie du es gesagt hast.«
»Unfug.«
»Und das finstere Gesicht, das du den ganzen Morgen machst.«
»Völlig lächerlich.«
»Ich finde ihn teuflisch gutaussehend.«
» Du warst die erste, die sagte, daß er ein Tunichtgut ist.«
»Ich habe nur die Gerüchte nachgeplappert – eine scheußliche Angewohnheit von mir. Und nun höre ich von dir, daß die beiden Mädchen, mit denen er zusammenlebt, seine Töchter sind. Ein Mann, dem seine Kinder so sehr am Herzen liegen, kann doch kein so schlechter Mensch sein.«
Olivia hielt die Kutsche vor dem Grand Hotel an. »Mr. Danaher ist kein schlechter Mensch, Amy. Er ist gut, liebenswürdig und klug. Das Schlimmste, was ich von ihm sagen kann, ist, daß er stur und eigensinnig ist, aber diese Fehler hat er mit den meisten Männern gemeinsam. Alles in allem ist er ein guter Mensch.«
Sie stieg aus, band das Pferd fest, dann half sie Amy, ihr Gewicht aus dem Wagen zu hieven.
»Mr. Danaher ist also ein guter Mensch. Weiter.«
»Ich kenne viele Männer, die gute Menschen sind, und in die ich nicht verliebt bin, Amy.«
»Ich habe bemerkt, wie du ihn anschaust«, widersprach Amy.
»Wie denn?«
Amy versuchte, sie nachzuahmen, machte strahlende Augen und einen verträumt lächelnden Mund.
»Du siehst aus wie eine Kuh mit Zahnschmerzen.«
»Ach verflixt!« widersprach Amy verärgert. »Ich weiß, was ich gesehen habe. Deine Augen waren ganz verschleiert.«
»Vielleicht hatte ich ein Staubkorn im Auge. Ich bin nicht sicher, ob es richtig war, in die Stadt zu fahren. Du siehst blaß aus.«
»Ich denke, ich sehe aus wie eine Kuh.«
»Das war nur ein Scherz, Liebste. Du siehst wirklich bleich aus.«
»Mir geht es gut. Wirklich. Mein Baby ist kerngesund, genau wie ich. Siehst du? Ich habe mir deine positive Einstellung angeeignet, wie du immer gepredigt hast.«
»Bist du sicher, daß du dich wohlfühlst?«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen, Olivia. Ein Tasse Tee im Restaurant des Hotels wird mir guttun.«
Sie setzten sich an einen Tisch vor dem Fenster und blickten in den grauen Tag hinaus. Die Berge waren wolkenverhangen, dicke Schneeflocken tanzten träge vom Himmel. Olivia fragte sich, ob Gabe die Hütte erreicht hatte, bevor das Schneetreiben in den Bergen einsetzte. Möglicherweise mußte er den Sturm in einem provisorischen Zelt abwarten – diesmal ohne sie. Ihr Herz schmerzte.
»Wo bist du?« fragte Amy.
»Wie bitte?«
»Wo bist du, Olivia? Irgendwo weit weg. Denkst du an Gabriel Danaher?«
»Natürlich nicht.«
»Olivia, ich bin deine beste Freundin. Mir kannst du es doch sagen.«
Olivia senkte den Blick in ihre Teetasse, dann seufzte sie. »Er wird mir fehlen.«
Amy lächelte. »Du bist tatsächlich in ihn verliebt!«
»Wenn man ihn kennt, ist es schwer, ihn nicht zu lieben.«
»Ach, Olivia! Ich wußte immer, daß sich hinter deinem Ehrgeiz ein romantisches Herz verbirgt.«
Olivias Mund verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. »Ich hätte klüger sein müssen.«
»Liebt er dich?«
»Er sagt es.«
»Hat er um deine Hand angehalten? Wirst du ihn heiraten?«
»Natürlich nicht, Amy. Wir passen überhaupt
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