Die Medizinfrau
schlechter. Wir müssen uns beeilen.«
»Mr. Danaher, mir ist weiß Gott daran gelegen, daß die Mädchen nicht sterben. Aber das Sitzen auf einem Pferd bereitet mir allergrößte Mühe. Ich glaube nicht, in der Verfassung zu sein, auch noch schnell zu reiten.«
Er nahm ihren Arm und zerrte sie zu den Pferden. »Sie reiten mit mir.«
»Aber Sie sagten doch, Ihr Pferd schafft es nicht mit uns beiden in die Berge.«
»Die schlimmsten Steigungen haben wir hinter uns, und wir reiten Ihren Wallach. Er ist kräftiger als meine Stute.«
Der folgende Teufelsritt über Stock und Stein bestärkte Olivia in ihrem Schwur, nie wieder ein Pferd zu reiten, falls sie diesen Ausflug überlebte. Gabes fester Arm um ihre Brust verhinderte einige Male, von den Pferdehufen zertreten zu werden. Ihr wiederholtes Flehen, langsamer zu reiten, stieß bei Gabe auf taube Ohren und schien den Indianer zu erheitern.
War die körperliche Anstrengung des Rittes kaum zu ertragen, so war die erzwungene körperliche Nähe noch schlimmer. Eingezwängt zwischen Sattelknauf und Danahers Hüften, war sich Olivia bewußt, daß ihre Hinterbacken fest an seine Lenden gepreßt waren. Ihre Beine, unschicklich bis zu den Knien entblößt, lagen auf seinen Schenkeln, seine muskulöse Brust drängte sich hart an ihren Rücken, und immer wieder kratzten seine Bartstoppeln ihre Schläfen. Sie spürte seinen warmen Atem.
Es war weniger die Anstößigkeit der Situation, die sie so sehr störte. Wenn es um Menschenleben ging, waren Sitte und Anstand zweitrangig. Was sie beunruhigte, war vielmehr ihre Reaktion auf seine Nähe. Sie war stets eine zurückhaltende Person gewesen, die den Abstand zu ihren Mitmenschen brauchte. Doch nun empfand sie eine höchst verwirrende Erregung in der erzwungenen körperlichen Nähe mit dem Iren. Allem Anschein hatte sie keinen erlesenen Geschmack in der Auswahl der Männer.
Endlich hatte der Höllenritt ein Ende, als sie ein Hochgebirgstal erreichten, das auf einer Seite von aufragenden Felszacken begrenzt war. Auf der anderen Seite erhoben sich steile Gebirgsmatten, die in zwei runden Kuppen endeten, und wie Schultern über der friedlichen Talmulde lagen. In dieser Höhe wuchsen nur noch einzelne, verkrüppelte, von Stürmen zerzauste Bäume.
Danahers Versteck lag knapp unterhalb der Baumgrenze am Rand einer Lichtung. Es war umgeben von Fichten und Tannen. Ein Holzhaus mit einem Steinkamin, daneben Schuppen und Scheunen, Hühnerstall, Koppel, und ein ziemlich großer Gemüsegarten mit den Resten vertrockneter Herbstpflanzen. An einer Wäscheleine zwischen zwei Bäumen flatterten zwei Hemden, ein paar grobe Männerhosen, ein Rock und eine graue Hose, die einem halbwüchsigen Jungen passen mochten. Die Hütte und seine Nebengebäude sahen nach einem gut bewirtschafteten Bauernanwesen aus und nicht wie ein Unterschlupf, in dem ein gesetzloser Schurke mit zwei Geliebten in Sünde lebte.
Bei ihrer Ankunft trat eine Indianerfrau aus dem Haus. Sie trug das graue Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten, ihr runzeliges braunes Gesicht wirkte wie faltiges Pergament. Krummer Stab erwiderte ihren gutturalen Gruß. Gabe schwang sich vom Sattel und betrat die Hütte, ohne die alte Frau eines Blickes zu würdigen. Olivia fand sein Benehmen ausgesprochen unhöflich.
Sie spürte den Blick der Indianerin auf sich gerichtet, als sie vom Pferd rutschte.
»Mutter, diese Frau ist eine Medizinfrau der Weißen. Sie wird den Kleinen helfen.«
Die Alte beobachtete argwöhnisch, wie unbeholfen Olivia die Füße auf den Boden setzte. Dann sprach sie einige barsch klingende Worte in ihrer Sprache. Krummer Stab lachte. »Eichhornfrau sagt, hoffentlich verstehst du mehr von Medizin als von Pferden.«
»Sagen Sie ihr, darauf kann sie sich verlassen. Ist sie die Mutter eines der Mädchen?«
Die Alte schnaubte verächtlich. Das belustigte Funkeln der schwarzen Augen von Krummer Stab straften seine steinerne Miene Lügen. »Sie ist ihre Großmutter.«
»Sie spricht englisch.«
»Nur, wenn sie will.«
»Ich tue alles für ihre Enkeltöchter, was in meiner Macht steht.« Die Greisin versperrte Olivia den Weg zur Hütte und schleuderte ihr unfreundlich klingende Worte ins Gesicht, ohne Anstalten zu machen, den Weg freizugeben. Olivia war zu Tode erschöpft, ihre Beine waren wie Gummi. Vergeblich versuchte sie, der Frau auszuweichen. Immer wieder versperrte ihr die Alte den Weg. Erst nach einer Zurechtweisung von Krummer Stab gab sie Olivia den Weg
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