Die Medizinfrau
rasch nachgebildet. Olivia wollte den Belag erst entfernen, wenn es unbedingt nötig war, denn das Abschaben war nicht ungefährlich und konnte zu weiterer Infektion und starken Blutungen führen. Sie lehnte sich in einen Lehnstuhl zurück. Er war die einzige bequeme Sitzgelegenheit. Danaher zog einen Hocker vor den Kamin neben sie. »Werden sie es schaffen?«
»Ich weiß es nicht, Mr. Danaher. Das hängt vor allem von den beiden selber ab.«
Sie saßen schweigend vor dem Feuer, bis Olivia seinen stillen Kummer nicht länger ertrug. »Ihre Töchter sind eineiige Zwillinge, sie scheinen aber im Temperament sehr verschieden zu sein. Die eine liegt da und tut alles, was man ihr sagt, die andere erhebt gegen alles Einwände.«
Ein Lächeln flackerte über sein Gesicht. »Die Fügsame ist Ellen. Sie will immer alles richtig machen und gelobt werden. Aber sie weiß genau, was sie tut, und warum sie etwas tut. Wenn Sie etwas nicht will, findet sie einen Ausweg, ohne eine Szene zu machen. Ihre Schwester heißt Katy.« Kopfschüttelnd und müde lächelnd betrachtete er Katy. »Schon bei ihrer Mutter benahm sie sich wie ein Junge. Sie kann beinahe so gut schießen wie ich, und sie hilft mir lieber in der Mine oder kümmert sich um die Maultiere und Pferde, als sich im Haus zu beschäftigen. Vermutlich ist es mein Fehler, sie wie einen Sohn zu behandeln. Eines Tages wird sie lernen müssen, daß sie eine Frau ist, wenn sie überlebt …«
»Ihre Mutter muß sehr schön sein«, warf Olivia schnell ein, um ihn von düsteren Gedanken abzulenken. »Die Kinder sind sehr hübsch.«
»Ihre Mutter war das schönste Mädchen in der Schwarzfuß-Reservation. Die Mädchen haben ihr Aussehen, nur die Augen haben sie von mir.«
»Ist ihre Mutter Schwarzfußindianerin wie Krummer Stab?«
»Ja. Sie hieß ›Frau vieler Pferde‹, ich nannte sie Minnie. Ein Jahr lebten wir bei ihrem Stamm, dann verließen wir das Reservat. Eichhornfrau ist ihre Mutter, Krummer Stab ihr Bruder.«
»Ist Eichhornfrau immer noch böse auf Sie, weil Sie ihr die Tochter weggenommen haben? Haben Sie deshalb nicht mit ihr gesprochen?«
Danaher lachte in sich hinein. »Bei den Schwarzfußindianerfrauen darf ein Mann nicht mit seiner Schwiegermutter reden. Das ist ein guter Brauch. Man erspart sich viel Ärger.«
»O.« Er war also mit der Indianerin verheiratet. Soviel Anstand hatte er wenigstens. »Wo ist ›Frau vieler Pferde‹ jetzt? Sollten Sie ihr nicht eine Nachricht zukommen lassen, daß ihre Töchter krank sind?«
»Ich müßte eine Nachricht ins Dorf der Toten schicken. Sie starb vor mehr als zwei Jahren.«
»Das tut mir leid. Es muß ziemlich schwer sein, zwei Mädchen allein großzuziehen.«
Er furchte die Stirn. »Es ist nicht schwer. Ohne die beiden wäre ich … leer.«
Katy bewegte sich und öffnete die Augen. »Pa?«
»Ja, Katy.«
»Ich werde nicht sterben, Pa. Das schwöre ich.«
»Nein, du wirst nicht sterben. Und Ellen auch nicht.«
Sie würgte, Schleim floß ihr aus der Nase. Olivia wischte ihn weg. »Mach den Mund auf, Katy.«
Katy starrte sie an. »Wer sind Sie?«
»Sie ist ein Doktor, Katy. Tu, was sie sagt.«
Widerwillig gehorchte Katy.
»Kannst du noch etwas Brühe schlucken?«
»Jaaa.«
»Pa?« Das war Ellens Stimme. Auch sie war aufgewacht.
Die Zwillinge schluckten, wenn auch mühsam, fast die restliche Brühe und schliefen erschöpft wieder ein. Olivia war am Ende ihrer Kraft. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal richtig geschlafen hatte. Danaher hatte ihr am Abend einen Eintopf angeboten, doch sie war zu müde, um zu essen. Eine lange Nacht lag vor ihr.
»Sie sehen müde aus, Doc. Warum legen Sie sich nicht ein paar Stunden hin, solange die Mädchen schlafen. Hinter dem Vorhang ist mein Bett.«
»Ich muß Nachtwache halten, Mr. Danaher. Die Kinder schlafen zwar jetzt, aber es kann jederzeit eine Verschlechterung eintreten.«
»Ich wecke Sie, wenn das passiert.«
»Nein danke. Ich bin an durchwachte Nächte gewöhnt.«
»Wir haben eine lange Nacht vor uns, ich mache Kaffee warm. Wollen Sie einen Becher?«
»Nein danke. Tee werden Sie vermutlich nicht haben.«
Er lachte leise. »Nur den Rindentee von Eichhornfrau. Der stärkt Sie vielleicht.«
»Danke, ich verzichte lieber.«
Gabe setzte sich mit seinem Becher Kaffee an den grob gezimmerten Holztisch. Lange würde die Frau nicht mehr durchhalten, vermutete er. Ihr Gesicht war bleich und erschöpft, ihre Schultern eingefallen. Selbst wenn
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