Die Medizinfrau
Flanken bohren.«
Als Olivia sich nicht von der Stelle rührte, machte er sich daran, ihr zu helfen. Bei dem Gedanken an seine Hand auf ihrem Hinterteil, beeilte Olivia sich, aufzusteigen. Und diesmal kam sie, wenn auch nicht elegant, so doch etwas schneller in den Sattel. Der Wallach wieherte.
»Elendes Mistvieh!« zischte sie.
Der Pfad stieg stetig bergan. Olivia rutschte vergeblich im Sattel herum, um eine bequemere, zumindest erträgliche Position zu finden. Beine, Po und Rücken schmerzten höllisch. Nachdem ihre Bitte um eine kurze Rast schroff abgelehnt wurde, wiederholte sie die Bitte kein zweites Mal. Gabriel Danaher hatte keinen Funken Mitleid. Und sollte sie lebend nach Elkhorn zurückkommen, würde es ihr eine unendliche Genugtuung bereiten, diesen Mann für lange Zeit hinter Gitter zu bringen.
Endlich verblaßten die Sterne. Das bedrohlich dunkle Bergmassiv nahm Konturen und Farbe an. Graue Felswände ragten aus dichten grünen Wäldern auf. In engen Felsbetten plätscherten Gebirgsbäche. Als sich die ersten Sonnenstrahlen über die Berggipfel tasteten, machten sie Halt.
»Sie haben zehn Minuten Zeit.« Mit diesen Worten schwang er sich vom Pferd und nahm einen Jutesack vom Sattel. »Da drin finden Sie etwas Dörrfisch. Ich bringe die Pferde zur Tränke.«
Olivia schwang ein Bein über den Sattel und biß die Zähne zusammen vor Schmerzen. Sie rutschte vom Pferd und landete auf bleibschweren Füßen. Schwankend blieb sie stehen, während Gabe die Pferde zu einem glucksenden Bach führte.
»Nun los, Doc. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Wollen Sie mir die Handfesseln nicht abnehmen?«
»Nein.«
Wut brodelte in ihrem Inneren. Sie war erschöpft, fror erbärmlich, war durstig, hungrig und wundgeritten. Ihre Blase war zum Platzen voll, und ihre Beine waren wie aus Gummi – und das alles, weil Gabriel Danaher der Ansicht war, seine Gefährtinnen hatten mehr Recht auf medizinische Versorgung als die braven Bürger von Elkhorn. Und nun weigerte sich der Grobian auch noch, ihre Hände loszubinden.
»Stehen Sie immer noch rum?« fragte Gabe, der die Pferde schon wieder zurückführte. »Jetzt bleiben Ihnen nur noch fünf Minuten.«
Zwischen aufeinandergebissenen Zähnen brachte sie hervor: »Würden Sie bitte meine Hände losbinden, Mr. Danaher. Ich muß … ich …« Sie spürte die Hitze in ihr Gesicht steigen.
»Dort drüben ist ein dichtes Gebüsch, Doc. Sie schaffen es auch mit gefesselten Händen.«
»Mr. Danaher! Sie sind ein … ein …« Die Schimpfnamen, die ihr einfielen, paßten alle nicht ins Vokabular eines Dame. Er hatte sich abgewandt und kramte in dem Jutesack. Seine Gleichgültigkeit machte sie nur noch wütender.
»Sie sind ein Barbar, Mr. Danaher.«
Er hob den Kopf und blickte sie mit versteinerter Miene an. »Es bleiben Ihnen noch fünf Minuten, bevor Sie wieder auf dieses Pferd steigen und nochmal drei Stunden reiten.«
Mit einem verächtlichen Schnauben stapfte sie hinter ein Gebüsch neben dem Weg. Sie konnte geradezu Danahers spöttischen Blick im Rücken spüren, als sie steifbeinig dahinstolperte.
»Noch zwei Minuten!« rief er ihr nach.
Zum Teufel mit dem groben Halunken!
Olivia schaffte es, sich trotz der gefesselten Hände zu erleichtern. Als sie ihre Röcke glättete, blickte sie den holprigen, steilen Weg zurück, den sie in die Berge geritten waren. In der Morgensonne wirkte die Bergwelt weniger bedrohlich. Die Vögel begrüßten den neuen Tag mit munterem Gezwitscher. Leichter Wind spielte im Herbstlaub der Espen, das wie goldener Regen tanzend auf den Waldboden sank. Sie hatte große Lust, wegzulaufen. Danaher und die Pferde waren außer Sicht, und wenn sie sich leise in den dichten Wald schlich, würde er sie vielleicht nicht finden. Die Erde war mit welkem Laub bedeckt; sie würde also kaum Spuren hinterlassen. Und wen er die Suche nach ihr aufgegeben hatte, würde sie den Weg nach Elkhorn zurückgehen. Mit etwas Glück würde sie vor Einbruch der Nacht im Tal sein.
Die meisten Situationen ihres Lebens hatte Olivia im Griff gehabt. Sie hatte sich ihren Platz in einer Welt erkämpft, die ihr viele Hindernisse und Schwierigkeiten in den Weg gelegt hatte. Diesem ungehobelten Grobian ausgeliefert zu sein, war beängstigend und demütigend. Sie hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, selbst wenn es bedeutete, allein durch den unwegsamen Wald ins Tal zu gehen.
Andererseits galt es zu bedenken, ob es nicht ihre
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