Die Medizinfrau
Tränen liefen ihr aus den Augen. Ihr Gesicht verfärbte sich bläulich. Das Atmen fiel ihr mit jeder Sekunde schwerer.
Bevor Gabe aufspringen konnte, um die Ärztin zu wecken, war sie schon zur Stelle. Mit verquollenen Augen, offenen Haaren, die ihr zerzaust über die Schultern hingen, war sie sofort Herr der Situation.
»Wie lange ist sie in diesem Zustand?« fragte sie sachlich.
»Grade eben. Nein. Seit etwa einer Stunde geht es ihr schlechter, ist sie unruhig. Sie versucht zu husten.«
»Bringen Sie die Lampe und halten Sie sie so, daß ich etwas sehen kann.« Sie untersuchte Katys Rachenhöhle. »Warum haben Sie mich nicht geweckt?«
»Sie sagten, Sie haben getan, was Sie tun konnten.«
An Olivias tiefen Stirnfalten erkannte Gabe, daß es nicht gut um Katy stand. Doch das war ihm auch ohne die Ärztin klar.
»Ich muß die Luftröhre öffnen, sonst erstickt sie.«
Panik fraß sich in Gabe fest.
Die Ärztin richtete sich auf und betrachtete Katy nachdenklich, kaute an ihrer Unterlippe, dann straffte sie die Schultern. »Bringen Sie mir saubere Tücher.«
In der Kommode neben dem Bett waren zerschlissene, aber saubere Handtücher. Er riß sie aus der Schublade und eilte wieder ans Bett. Olivia hatte eine stechend riechende Flüssigkeit in eine Schüssel gegossen und legte ein Skalpell und einen dünnen Schlauch hinein.
»Phenol«, erklärte sie. »Wegen der Infektionsgefahr.«
»Was werden Sie tun? Können Sie etwas tun?«
»Ich bringe einen kleinen Schnitt in der Luftröhre an und führe diesen Schlauch ein, damit sie wieder atmen kann.«
Sein Herzschlag pulsierte in den Ohren. »Sie wollen ihr die Kehle aufschneiden?«
Olivia machte ein Gesicht, als wolle sie sich entschuldigen. »Mr. Danaher, das ist sicherer, als den Belag noch einmal abzuschaben, und damit verschaffe ich ihr für längere Zeit Erleichterung. Ich muß etwas tun, sonst verlieren wir sie.« Sie war eine Quacksalberin, sie wußte nicht, was sie tat. Sie war schließlich nur eine Frau. Er mußte sie daran hindern. Aber Katy …
»Halten Sie ihr den Kopf fest, Mr. Danaher. Sie ist jetzt ohne Bewußtsein. Wenn sie aufwacht und sich bewegt, kann es gefährlich werden.«
Ohne ihn anzusehen, konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Sie legte ein Tuch an Katys Hals und tastete mit den Fingern die Luftröhre ab. Sie erwartete ganz selbstverständlich, daß er sich auf ihr gefährliches Vorhaben einließ und ihren Befehlen gehorchte.
Wie benommen hielt er Katys Kopf mit beiden Händen.
»Es ist gleich vorüber.«
Mit zusammengepreßten Lippen und völlig konzentriert, brachte Olivia blitzschnell den kleinen Schnitt an. Mit einem leisen Zischen entwich Luft aus Katys Luftröhre.
»Wischen Sie das Blut ab.«
Es war nicht viel Blut. Nur ein paar Tropfen. Aber es war Katys Blut. Gabe wurde schlecht.
Mit sicherer Hand führte die Ärztin den dünnen Gummischlauch in die Öffnung der Luftröhre ein. »Wie gut, daß ich den Schlauch in der Arzttasche hatte. Fertig. Die Blutung hat bereits aufgehört.«
Katy schlug flatternd die Augen auf. Ihre Gesichtsfarbe war nicht mehr so bläulich. Olivia legte einen Finger auf Katys Mund, bevor sie ihn öffnen konnte.
»Nicht sprechen, Katy. Du hast keine Luft bekommen, deshalb habe ich einen kleinen Schnitt in deine Luftröhre gemacht. Wenn es dir besser geht, heilt die kleine Wunde wieder zu, und du wirst nichts mehr spüren. Und später sieht man gar nichts mehr davon. Aber jetzt mußt du still liegen bleiben und versuchen, ruhig zu atmen.«
Gabe stellte erleichtert fest, daß Katy den Eingriff mit größerer Tapferkeit ertrug als er. Er ließ sich schwer in den Stuhl fallen, während Olivia sich über Ellen beugte. Er glaubte nicht, noch eine Minute länger wachbleiben zu können.
Die Augen fielen ihm zu, dann spürte er die zarte Berührung kühler Finger auf der Stirn. Mühsam schlug er die Augen wieder auf und blickte in ein sachlich professionelles Gesicht, das nicht zur Zartheit der Berührung paßte.
»Warum legen Sie sich nicht ins Bett, Mr. Danaher? Ich habe ein paar Stunden geschlafen. Ich rufe Sie, wenn ich Ihre Hilfe brauche.«
Gabe gehorchte wortlos und taumelte zum Bett. Er drehte sich noch einmal um und sah Olivia am Herd stehen und sich in aller Ruhe einen Becher Kaffee eingießen, als vollbringe sie solche Wunder jeden Tag. Sie roch an der dickflüssigen Brühe und schnitt eine Grimasse. Dann setzte sie sich in den Stuhl und lächelte still vor sich hin, als wisse sie, daß
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