Die Medizinfrau
feuchtwarmer Luft aus und bedachte sie mit einem gnädigen Blick.
»Bin gleich wieder da.« Eigentlich waren Tiere recht angenehme Patienten, dachte Olivia. Sie redeten einem nicht drein, und man konnte sie festbinden, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie griff in die Holzkiste, in die sie das Verbandszeug getan hatte. Etwas verbiß sich mit einem scharfen Schnappen in ihre Finger. Schreiend fuhr sie zurück, und Murdoch machte einen Satz zur Seite. Das Etwas hing an ihren Fingern.
»Eine Mausefalle?«
»Brauchen Sie Hilfe, Doktor Baron?« Katys Gesicht mit unschuldig aufgerissenen Augen erschien in der Stalltür, doch die Grübchen in ihren Wangen verrieten ein koboldhaftes Grinsen.
Olivias Augen verengten sich. »Wie kommt die Mausefalle zwischen das Verbandszeug?«
»Ich habe sie aufgestellt.« Katy schlenderte näher heran. »Ich wollte nicht, daß Mäuse sich ein Nest in der Wolle bauen. Hab’ vergessen, es Ihnen zu sagen. Tut mir leid.« Sie öffnete die Drahtbacken der Falle. »Oh. Das tut sicher weh.«
»Ja, es tut weh.« ’
»Aber es hätte schlimmer sein können«, fügte Katy beschwichtigend hinzu. »Sie hätten auch in eine tote Maus greifen können. Wenn Ellen eine tote Maus sieht, schreit sie wie am Spieß. Der kleine, steife Körper und die zurückgezogenen Lippen mit den winzigen Zähnen machen ihr eine Heidenangst.«
Olivia schüttelte die Hand aus, um den Schmerz in den Fingern zu lindern. Es war nichts wirklich Schlimmes passiert, und wenn sie jetzt einen Wutanfall bekäme, würde das kleine Miststück sich nur ins Fäustchen lachen. Es hatte Momente gegeben, in denen sie bedauerte, nicht geheiratet und keine Kinder zu haben. Jetzt fand sie, daß sie großes Glück gehabt hatte.
Erst am Abend wurde Olivia endgültig klar, daß man ihr den Krieg erklärt hatte. Da Ellen gekocht hatte, war es selbstverständlich, daß Olivia und Katy den Abwasch übernahmen. Sich umzudrehen und den Tisch abzuräumen war ein Fehler gewesen. Denn als sie ihre Hände in das Spülwasser tauchte, schlüpfte eine Wasserschlange durch ihre Finger. Bei der Berührung mit dem glitschigen Schlangenkörper flog sie mit einem panischen Satz durch die halbe Hütte. Und die Zwillinge konnten sich das Kichern nicht verkneifen. Sie versuchte sich vorzustellen, welche Strafe ihre Mutter ihr für eine solche Teufelei zugedacht hätte. Allerdings wäre ihr ein so übler Streich nie im Traum eingefallen. Sie hatte in ihrer Kindheit kein einziges Mal Prügel bezogen, was diese beiden Rangen sehr wohl verdient hätten.
Olivia fiel nichts Besseres ein, als die beiden Übeltäterinnen ins Bett zu schicken – eine milde Strafe, da es bereits dunkel und ohnehin bald Schlafenszeit war. Mit ernsten Mienen kletterten sie die Leiter hinauf, nur in ihren Augen blitzte der Schalk. Den Grund für ihre Heiterkeit fand Olivia bald heraus, als sie nämlich die Bettdecke zurückschlug und ihr Laken mit Sand und Schotter aus der Mine bestreut vorfand.
Es war Zeit, einen Gegenangriff zu starten, beschloß Olivia, nachdem sie die Laken ausgeschüttelt und das Bett neu gemacht hatte. An der Universität hatte sie gelernt, daß die beste Verteidigung gegen gehässige Übergriffe darin bestand, mit gleicher Münze heimzuzahlen. Als die Kommilitonen in der Anatomie einer von ihr zu sezierenden männlichen Leiche unterhalb der Gürtellinie den Anschein lustvoller Lebendigkeit verliehen hatten, stellten die Herren kurz darauf fest, daß aus der Kaffeekanne eine eklig schwarze Glibbermasse in ihre Tassen quoll, da Olivia den Kaffee mit einer gelierenden Algenkultur versetzt hatte. Olivia nippte unterdessen unschuldig an ihrem Tee und legte in aller Ruhe die Beinarterien frei, während die Herren Studenten sich vor Ekel schüttelten und gehörig fluchten. Dann gab es den armen Kerl, der eine detailgenaue Darstellung männlicher Fortpflanzungsorgane an ihre Teetasse geklebt hatte. Kurz darauf hing die nämliche Zeichnung am Schwarzen Brett mit einer ausführlichen Beschreibung der Fehl- bzw. Unterentwicklung besagter Körperteile und der Benennung des Krankheitsbildes nach jenem Studenten.
Die teuflischen Zwillinge wußten nicht, auf was sie sich eingelassen hatten, als sie Rachel Olivia Baron den Krieg erklärten.
Ellen wurde vom Geruch nach Kaffee und gebratenem Speck wach. Das erste Morgenlicht sickerte durchs Dachfenster, und der Lichtschein von unten sagte ihr, daß die Frau Doktor früh auf den Beinen war. Sie hätte sich zu gerne
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