Die Medizinfrau
entging Ellens triumphierender Blick keineswegs. Die Zwillinge behandelten sie wie Luft, seit sie ihrem Vater den unschuldigen Schmatz auf die Wange gegeben hatte. Der Waffenstillstand, der sie gegen Jebediah und Slim vereinte, war offenbar nur vorübergehender Natur. Jetzt, da ihr Vater wieder hier war, waren die Fronten wieder kampfbereit.
Zu Olivias Erleichterung wurde der Abend nicht lang. In der Hütte herrschte eine feindselige Spannung, die sich gegen sie richtete. Jeb und Slim warfen unsichere Blicke in ihre Richtung, und in ihren Augen las sie ein unangenehmes Versprechen, worüber sie lieber nicht weiter nachdenken wollte. Mit solchen Blicken verschlangen hungrige Männer ihr Essen. In Montana mußte wahrlich großer Frauenmangel herrschen, wenn den Kerlen beim Anblick einer unscheinbaren Jungfer das Wasser im Munde zusammenlief.
Die Blicke der Zwillinge waren nicht angenehmer. Sie behandelten sie mit eisiger Höflichkeit, weil ihr Vater es von ihnen verlangte. Olivia vermutete hinter der Feindseligkeit die Tatsache, daß sie die Rolle von Danahers Ehefrau spielte. Danaher hingegen schien großen Spaß an kleinen Gesten seiner ehelichen Zuneigung zu haben. Er legte seinen Arm um sie, tätschelte ihre Hand – nur weil er wußte, wie sehr er sie damit in Verlegenheit brachte. Die Zwillinge kannten den verdrehten Humor ihres Vaters und müßten begreifen, worum es ihm ging. Noch dazu war es Katys Idee gewesen, den beiden Fremden Vater und Mutter vorzuspielen. Andererseits, dachte Olivia, wer war mit zwölf schon in der Lage, die Vernunft über seine Gefühle siegen zu lassen?
Jedenfalls war Olivia froh, daß alle den Wunsch hatten, an diesem kalten, verschneiten Abend bald unter die warmen Decken zu schlüpfen. Jeb und Slim kletterten die Leiter hinauf, müde von einer Hasche von Danahers irischem Whiskey. Katy und Ellen bezogen wieder die kurzen Pritschen vor dem Kamin. Beide warfen Olivia finstere Blicke zu, als Danaher die letzte Lampe löschte und dem Bettvorhang zustrebte.
»Kommst du ins Bett, Olivia?« Seine Stimme im Dunkeln hatte einen spöttischen Klang, der nur für ihre Ohren bestimmt war. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Beinahe hätte sie vergessen, daß die beiden Männer auf dem Dachboden von ihr als Danahers ›Ehefrau‹ erwarteten, daß sie das Bett mit ihm teilte. Erfüllte sie diese Erwartungen nicht, sahen die beiden sie zweifellos als Freiwild, und sie war vor ihren Nachstellungen nicht mehr sicher. Sie hatte mit Danaher schon einmal das Bett geteilt, an die Gitterstäbe gebunden wie ein gerupftes Huhn, und die ganze Nacht hatte sie gekämpft, nicht gegen ihn – hätte er den Wunsch gehabt, die Situation auszunutzen, wäre sie ihm hilflos ausgeliefert gewesen – sondern gegen sich selbst. Ihre weiblichen Triebe hatten sich als höchst gefährlicher Gegner erwiesen, was Olivia nie und nimmer vermutet hätte.
Und nun wurde sie erneut gezwungen, mit Danaher in einem Bett zu schlafen und vorzugehen, es sei das Normalste von der Welt. Sie spürte förmlich die lüsternen Blicke von der Dachluke her. Das Leben bringt oft unvorhersehbare Veränderungen, hatte ihr Vater einmal gesagt. Wie recht er hatte. Hätte ihr vor einem Monat jemand gesagt, sie könne jemals so weit vom Pfad der Tugend abweichen, hätte sie gelacht und den Propheten als närrischen Spaßvogel bezeichnet.
»Olivia, du erkältest dich, wenn du nicht bald ins Bett kommst.«
Plötzlich haßte Olivia die primitive Blockhütte, in der es nur ein einziges Herdfeuer gab; die Berge, die es ihr unmöglich machten, heimzukehren; und Danaher, diesen unmöglichen, respektlosen irischen Unruhestifter.
Etwas Weißes, Gespenstisches flog aus dem Dunkel auf sie zu. Olivia duckte sich.
»Dein Nachthemd«, sagte Danaher leise. »Du kannst dich hinter dem Vorhang umziehen, wenn du willst. Ich lege noch ein paar Scheite aufs Feuer.«
Seufzend hob Olivia das Nachthemd auf. Es mochte ein kurzer Abend gewesen sein, aber es würde eine sehr lange Nacht werden.
Als Gabe ins Bett hinter dem Vorhang kroch, hatte Olivia sich in Minnies altes Nachthemd gewickelt und es bis zum Hals zugeknöpft. Ohne daß er es sehen konnte, wußte er, daß sie kein Knöpfchen offen gelassen hatte; er kannte sie mittlerweile. Nicht nur das Nachthemd war fest um sie gewickelt, auch die Wolldecken schützten sie wie eine Ritterrüstung.
Die Laken waren klamm in dieser kalten Nacht, und er war froh, sich an einen warmen Körper zu kuscheln. Wenn er
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