Die Medizinfrau
der hoch über ihren Köpfen seine Kreise zog. An all die Schönheiten der Natur und daran, daß Danaher lebte. Sein Arm hielt sie mit starkem Griff fest; sein warmer, lebendiger Körper kitzelte ihr Haar. Und das Gefängnis ihrer Angst gab sie wieder frei.
Ein hastig zusammengestelltes Weihnachtsessen wurde ziemlich einsilbig verspeist. Die Zwillinge waren völlig erschöpft. Ellens Stimme klang wie ein Reibeisen vom Schreien in den staubigen Schacht. Katy hockte mit aufgestützten Ellbogen vor ihrem Teller und stocherte im Essen herum, und Olivia war so müde, daß sie kaum die Augen offenhalten konnte. Der lebhafteste Gast der Tafelrunde war der, der mit etwas weniger Glück tot hätte sein können. Wer seine Tage im Bauch der Erde verbrachte, schickte dem Sensenmann geradezu eine schriftliche Einladung, ihn zu holen.
»Sie werden doch um Himmels willen nicht wieder dort hinein wollen«, hatte sie ausgerufen, als Danaher sagte, der Einbruch habe eine neue Silberader freigelegt.
»Und was sollte ich sonst tun?«
»Eine Arbeit, bei der man nicht unter tonnenschweren Felsen begraben wird!«
»Na ja, ich habe ein paar Jahre als Rancher gearbeitet, und das war wesentlich gefährlicher als das Silberschürfen.«
Er klang bitter; aber Olivia konnte nicht glauben, daß er es ernst meinte.
»Der Tritt einer Kuh kann wohl kaum tödlich sein. Ein Stollen, der einem auf den Kopf fällt, allerdings schon.«
Danaher schüttelte lächelnd den Kopf. Er schien seine Begegnung mit dem Tod auf die leichte Schulter zu nehmen, wirkte aber abwesend. Bei der Rückkehr in die Hütte wehrte er Olivias Versuche ab, ihn zu untersuchen. Sie sollte damit bis nach dem Abendessen warten. Während die Zwillinge müde über ihren Tellern saßen und auch Olivia im Essen herumstocherte, ließ Danaher es sich schmecken und spottete über Olivias Ängste wegen der Mine. Der Einsturz sei nicht der Rede wert, beharrte er stur. Und außerdem, wenn ein Mann Geld machen wollte, indem er in den Felsen herumhackte, mußte er darauf gefaßt sein, daß die Felsen einmal zurückschlugen.
Olivia nahm sich vor, dem Mann endlich ernsthaft ins Gewissen zu reden.
Nach dem Abendessen wurden Geschenke ausgetauscht – bunte Bänder und Pfefferminzbonbons für Katy und Ellen, eine Mütze aus Hasenpelz für Danaher (von Katy erlegt und von Ellen genäht), und ein bizarr geformtes Stück Rohsilber aus der Mine für Olivia.
Seltsamerweise zählte dieses Weihnachten zu den schönsten, die Olivia erlebt hatte. Die Herzlichkeit, die ihr die Mädchen entgegenbrachten, bedeutete ihr mehr als jedes Geschenk. Als Olivia sich durch den Geröllwall kratzte, hinter dem Gabe verschüttet war, hatte sie zugleich die Mauer der Feindseligkeit in Katys Herzen zum Einsturz gebracht. Katys Augen sandten ihr den ganzen Abend stumme Botschaften ihrer Dankbarkeit.
Der Abend bildete einen friedvollen Abschluß eines Katastrophentages. Alle vier hatten Grund zur Dankbarkeit. Olivias Blick wanderte zu Gabe hinüber, der auf dem Hocker vor dem Feuer saß, das Gesicht von den Flammen gerötet. Wieder krallte die grauenvolle Angst sich um ihr Herz bei dem Gedanken, daß er beinahe für immer fortgegangen wäre.
Nachdem das Geschirr gespült war, schlurften die Kinder willig nach oben ins Bett. Entschlossen, sich nicht länger hinhalten zu lassen, nahm Olivia ihre Arzttasche und trat an den Kamin, wo Danaher stirnrunzelnd ins Feuer starrte.
»Ich werde Sie jetzt untersuchen.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Immer die pflichtbewußte Ärztin.«
»Was denn sonst?«
»Die Frage müßten Sie sich schon selber beantworten.«
»Ziehen Sie das Hemd aus.«
»Ja, Frau Doktor.«
In Anbetracht der Tatsache, was alles hätte passieren können, war Danaher glimpflich davongekommen. Ein paar Kratzer und Blutergüsse, aufgeschürfte Knöchel vom Graben, eine Platzwunde und eine Beule am Kopf, zwei Blutergüsse an den Rippen. Sie schnitt ihm die Haare um die Platzwunde ab und nähte die Wunde, was er ungewohnt still über sich ergehen ließ. Olivia fragte sich schon, ob er eine ernsthaftere Kopfverletzung davongetragen hatte, als nach außen zu sehen war.
»Keine der üblichen Klagen, Mr. Danaher? Ich denke, Sie halten nichts davon, Schmerzen stumm zu ertragen.«
»Vermutlich bin ich heute abend nur dankbar, am Leben zu sein.«
»Eine weise Einsicht. Dazu hätte ich Sie gar nicht fähig gehalten.«
»Ich bin noch zu ganz anderen Dingen fähig.«
Sie tupfte das letzte Blut von der Wundnaht
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