Die Meerhexe
Lord abwechselnd von einem zum anderen.
»Was für Informationen?«
»Nach Bentleys Worten haben Sie beim State Department angerufen, weil Sie angeblich befürchten, daß die Meerhexe in Gefahr ist. Und nun will man wissen, woher Sie diese geheimen Informationen haben und was Sie zu tun gedenken.«
»Warum ist das FBI nicht direkt zu mir gekommen?«
»Weil Sie denen auch nicht mehr gesagt hätten als dem State Department – wenn Sie sie überhaupt hereingelassen hätten. Aber die wissen, daß wir ab und zu hier zu Gast sind, und so haben sie wohl angenommen, daß Sie uns gegenüber unvorsichtiger wären.«
»Bentley nimmt also an, daß Sie mir Informationen entlocken könnten, ohne daß ich es bemerke?«
»Sowas in der Art, ja.«
»Bringt Sie das nicht in eine etwas mißliche Situation?«
»Nicht wirklich.«
»Sie sollen sich doch an die Gesetze halten, oder?«
»Ja«, sagte Mitchell. »Aber nicht an frisierte Gesetze. Oder haben Sie vergessen, Lord Worth, daß wir deshalb keine Polizisten mehr sind, weil wir mit der hiesigen Handhabung des Rechts nicht einverstanden waren? Jetzt sind wir nur unseren Klienten verantwortlich.«
»Ich bin nicht Ihr Klient.«
»Nein.«
»Hätten Sie mich gern als Klienten?«
»Aus welchem Grund denn, um Himmels willen?« fragte Roomer verdutzt.
»Nichts auf der Welt ist gratis, John. Dienste müssen belohnt werden.«
»Auftrag mißlungen«, konstatierte Mitchell. Er stand auf. »Es war sehr freundlich von Ihnen, uns zu empfangen, Lord Worth«, sagte er steif.
»Entschuldigen Sie.« Der Lord klang ehrlich betroffen. »Ich fürchte, ich habe mich daneben benommen.« Er dachte kurz nach und lächelte dann. »Ich habe gerade versucht, mich daran zu erinnern, wann ich mich das letzte Mal bei jemandem entschuldigt habe – mein Gedächtnis scheint nicht weit genug zurückzureichen. Aber jetzt zu den gewünschten Informationen für das FBI. Was die erste Frage betrifft: meine Informationen erhielt ich in Verbindung mit mehreren anonymen telefonischen Drohungen, die das Leben meiner Töchter betrafen. Nein, es war eigentlich eine zweifache Drohung: erstens gegen meine Töchter – wie man mir sagte, könne ich sie schließlich nicht für alle Zeiten versteckt halten, und schließlich gäbe es nichts, was man gegen die Kugel eines Heckenschützen tun könne – und zweitens gegen die Meerhexe. Sie soll in die Luft gesprengt werden, falls ich nicht die Ölförderung einstelle. Was nun meine Pläne betrifft, so werde ich morgen nachmittag zur Meerhexe fliegen und vierundzwanzig, vielleicht auch achtundvierzig Stunden dort bleiben.«
»Entspricht irgend etwas an diesen beiden Aussagen den Tatsachen?« fragte Roomer.
»Seien Sie nicht albern. Natürlich nicht. Ich werde zwar tatsächlich zur Meerhexe hinausfliegen, aber schon vor Tagesanbruch. Ich möchte nicht, daß diese Spürhunde mich bei meinem Start mit dem Hubschrauber beobachten.«
»Meinen Sie damit die Leute vom FBI, Sir?«
»Wen sonst? Genügt das fürs erste?«
»Vollkommen.«
Sie gingen schweigend zu ihrem Wagen zurück. Roomer setzte sich hinters Steuer, Mitchell daneben.
»Sieh mal an, sieh mal an«, sagte Roomer schließlich.
»Ein gerissener alter Teufel, was?«
»Er ist vielleicht gerissen, aber …«, kam Marinas Stimme vom Rücksitz.
Sie brach ab und schnappte nach Luft, als Mitchell herumfuhr und Roomer die Innenbeleuchtung einschaltete: Die Mündung von Mitchells Achtunddreißiger zielte genau zwischen ihre Augen, die im Augenblick vor Entsetzen weit aufgerissen waren.
»Mach das ja nie wieder mit mir«, riet Mitchell ihr, »beim nächsten Mal würde ich vielleicht nicht so langsam reagieren, und dann wäre es zu spät für Erklärungen.«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Eigentlich war sie ein intelligentes und selbstsicheres Mädchen, aber wenn man zum ersten Mal in die Mündung einer Pistole schaut, kann das die Selbstsicherheit ganz schön beeinträchtigen. »Ich wollte gerade sagen, daß er vielleicht gerissen ist, aber weder alt noch ein Teufel. Nimmst du jetzt bitte die Waffe weg? Man zielt nicht auf Menschen, die man liebt.«
Mitchell steckte die Pistole ein. »Ich neige nicht dazu, mich in junge Verrückte zu verlieben«, konstatierte er.
»Oder in Spione«, ergänzte Roomer mit einem Blick auf Melinda. »Was macht ihr beiden hier?«
Melinda war gelassener als ihre Schwester. Aber schließlich hatte ja auf sie auch niemand eine Waffe gerichtet. »Du bist jedenfalls ein
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