Die Meerhexe
nötigen Vorteil gegenüber der Gegenpartei«, grinste Durand selbstzufrieden. »Warum kommen Sie hierher?«
»Um neue Ölvorkommen zu finden. Wir haben ein perfekt ausgestattetes Labor hier …«
»Die Reise hätten Sie sich sparen können. Dürfen wir Ihre Tasche und die Ihres Freundes durchsuchen?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Nein.«
»Dann lassen Sie sich nicht aufhalten.«
»Aaron.«
Aaron untersuchte Mitchells Reisetasche. »Kleidungsstücke, wissenschaftliche Bücher und Instrumente. Das ist alles.«
Als nächster kletterte Dr. Greenshaw die Leiter herunter. Unten angekommen, streckte er die Hände nach oben und nahm aus der Hand des Piloten verschiedene Taschen und Schachteln entgegen. Durand musterte den Arzt und fragte: »Wer zum Teufel ist denn das?«
»Dr. Greenshaw«, erklärte Lord Worth. »Ein sehr angesehener Arzt und Chirurg. Ich habe ihn mitgebracht, weil ich mit einigen blutigen Zwischenfällen auf der Meerhexe rechne. Wir haben eine Apotheke und ein kleines Krankenrevier hier.«
»Der hat seine Reise auch umsonst gemacht. Wir haben alle Trümpfe in der Hand, und es wird keine Gewalttätigkeiten geben. Dürfen wir uns auch Ihr Gepäck ansehen, Doktor?«
»Wenn Sie unbedingt wollen. Als Arzt ist es meine Aufgabe, Leben zu erhalten und nicht zu zerstören – ich habe keine Waffen bei mir. Das verbietet mir schon die Berufsethik.« Greenshaw seufzte. »Durchsuchen Sie meinetwegen alles, aber machen Sie bitte nichts kaputt.«
Durand nahm sein Walkie-Talkie zur Hand. »Schicken Sie einen von Palermos Männern mit einem Elektrowagen hier herüber – es ist eine ganze Menge Gepäck zu transportieren.« Er steckte das Walkie-Talkie wieder ein und wandte sich an Mitchell: »Warum zittern Ihre Hände?«
»Ich bin ein Mann des Friedens«, erklärte Mitchell und versteckte seine Hände hinter dem Rücken.
Roomer, der als einziger die Signale verstand, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah Mitchell mit übertriebener Besorgnis an. Durand sagte: »Ich verabscheue Feiglinge.«
Mitchell nahm die Hände wieder nach vorn. Sie zitterten immer noch. Durand machte einen Schritt auf ihn zu und holte aus, als wollte er ihn mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen, aber dann ließ er sie angewidert sinken. Das war das klügste, was er tun konnte – nur wußte er es nicht. Durands Verstand war so von Brutalität beherrscht, daß er nicht in der Lage war, psychische Signale aufzufangen – wäre es anders gewesen, so hätte er das Rauschen der Schwingen des Todesvogels hören müssen, der über seinem Kopf kreiste. Der einzige, dem die Szene eine allerdings gut verborgene Befriedigung bereitete, war Larsen. Zwar kannte er Mitchell bisher nicht persönlich, sondern nur von ihrem Telefongespräch her, aber er hatte von Lord Worth schon viel über ihn gehört – jedenfalls genug, um zu wissen, daß Mitchell liebend gerne Hackfleisch aus Durand gemacht hätte, statt vor ihm zu kuschen. Mitchell hatte nur Sekunden gebraucht, um den Eindruck von sich zu vermitteln, den er vermitteln wollte – den eines feigen Niemand, den man getrost ignorieren konnte.
Lord Worth fragte: »Darf ich meine Töchter sehen?«
Durand dachte nach und nickte schließlich. »Durchsuchen Sie ihn, Aaron.«
Aaron gehorchte, wobei er es tunlichst vermied, Lord Worths eisigem Blick zu begegnen. »Er ist sauber, Mr. Durand.«
»Sie sind da drüben«, sagte Durand und streckte den Arm aus. »Am Rand der Plattform.«
Lord Worth ging ohne ein weiteres Wort davon. Die anderen machten sich auf den Weg zu ihren Unterkünften. Als Lord Worth in die Nähe seiner Töchter kam, verstellte Heffer ihm den Weg. »Wo wollen Sie hin, Mister?«
»Was fällt Ihnen eigentlich ein? Für Sie immer noch Lord Worth, Sie Flegel.«
Heffer zog sein Walkie-Talkie heraus. »Mr. Durand, da ist ein Bursche …«
Unterbrochen von krachenden Störungen sagte Durand: »Das ist Lord Worth. Er ist durchsucht worden und hat meine Erlaubnis, mit seinen Töchtern zu sprechen.«
Lord Worth riß Heffer das Walkie-Talkie aus der Hand: »Würden Sie dieses Individuum freundlichst anweisen, außer Hörweite zu bleiben?«
»Sie haben es gehört, Heffer.« Das Walkie-Talkie verstummte.
Das Wiedersehen des Vaters mit seinen Töchtern war tränenreich – jedenfalls auf seiten der Mädchen. Lord Worth war zwar überglücklich, sie wohlbehalten wiederzusehen, aber er hatte seine Gefühlsregungen gut unter Kontrolle. Marina störte sich als erste daran.
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