Die Mehrbegabten
Nick.
»Sagen Sie es ihm nicht«, meinte Charley.
Denny wandte sich ihr zu, hob den Arm und holte aus; sie stand ihm ruhig gegenüber, das Gesicht starr und hart. »Nur zu«, sagte sie. »Schlag mich, und ich trete dich da, wo es dir für den Rest deines Lebens weh tut.«
»Er ist ein Angestellter von mir«, sagte Zeta.
»Ach ja«, sagte Denny spöttisch. »Und Sie kennen ihn schon Ihr ganzes Leben lang. Warum sagen Sie nicht einfach, er sei Ihr Bruder?«
»Es ist wahr«, sagte Zeta.
»Was machen Sie?« fragte Denny Nick.
»Ich schneide Profile in alte Reifen«, antwortete Nick.
Denny lächelte; sein ganzes Verhalten wandelte sich, als sei das Problem behoben. »Ach ja? « meinte er und lachte. »Was für ein Beruf. Was für eine Arbeit. Übernommen von Ihrem Vater?«
»Ja«, sagte Nick und empfand Haß; er mußte sich anstrengen, ihn nicht zu zeigen; er wollte ihn nicht zeigen; er fürchtete sich vor Denny – vielleicht, weil die anderen im Zimmer auch Angst vor ihm hatten und er das von ihnen übernahm.
Denny hielt Nick die Hand hin. »Okay, Profilschneider, wollen Sie ein Fünfer- oder ein
Zehnerheft? Ich habe beides.« Er griff in seine Lederjacke und zog ein paar Broschüren heraus. »Gute Sachen«, sagte er. »Alles authentisch. Ich kenne den Mann, der sie druckt. Ich habe dort Cordons Originalmanuskript gesehen.«
»Da ich dafür bezahle«, erklärte Zeta, »wird es ein Fünferheft.«
»Ich empfehle Ihnen die Moral des wahren Menschen«, sagte Charley.
»Tust du das?« sagte Denny ironisch und sah sie an. Sie begegnete seinem Blick ohne Zucken, wie vorher. Sie ist so hart wie er, dachte Nick. Sie kann ihm Widerstand leisten. Aber warum? fragte er sich. Lohnt es sich, in der Nähe einer so gewalttätigen Person zu sein? Ja, dachte er; ich spüre die Gewalttätigkeit, die Unbeständigkeit. Er ist in jedem Augenblick zu allem fähig. Er hat eine Amphetamin-Persönlichkeit. Wahrscheinlich nimmt er große Mengen irgendeines Aufputschmittels, entweder gespritzt oder als Tabletten. Oder vielleicht mußte er so sein, um seine Aufgabe erfüllen zu können.
»Ich nehme die da«, sagte Nick. »Die sie empfiehlt.«
»Sie hat Sie eingewickelt«, sagte Denny. »Wie sie jeden einwickelt, jedenfalls jeden Mann. Sie ist blöd. Sie ist ein blödes, kleines Miststück.«
»Du warmer Bruder«, sagte Charley.
»Die Lesbe redet«, sagte Denny.
Zeta zog einen Fünf-Pop-Schein heraus und gab ihn Denny; er wollte ganz offenkundig den Handel abschließen und schnellstmöglich gehen. »Störe ich Sie?« erkundigte sich Denny plötzlich bei Nick.
»Nein«, sagte Nick behutsam.
»Manche Leute störe ich«, meinte Denny.
»Natürlich tust du das«, sagte Charley. Sie griff nach den Broschüren, suchte die richtige heraus, gab sie Nick und zeigte wieder das aufleuchtende Lächeln. Sechzehn, dachte er; nicht älter. Kinder, die ein Spiel auf Leben und Tod spielen, »Hassen und Kämpfen«, aber – wenn es hart auf hart geht, halten sie vermutlich zusammen. Die Feindseligkeit zwischen Denny und dem Mädchen verdeckt eine tiefliegende Anziehung, entschied er. Auf irgendeine Weise ergänzen sie sich. Eine Symbiose, dachte er; nicht angenehm zu betrachten, aber nichtsdestoweniger echt. Ein Dionysos aus der Gosse, dachte er, und ein hübsches, hartes Mädchen, das in der Lage ist, oder versucht, es ihm gleichzutun. Wahrscheinlich haßt sie ihn und kommt trotzdem nicht von ihm los. Wahrscheinlich, weil er ihr körperlich anziehend erscheint und in ihren Augen ein richtiger Mann ist. Weil er härter als sie ist, und das respektiert sie. Weil sie selbst so hart ist, daß sie weiß, was es bedeutet.
Aber was für eine Person, um sich ihr anzuschließen. Wie eine klebrige Frucht in zu warmem Klima war der junge Mann zerlaufen; sein Gesicht war weich und geschmolzen, und nur das leuchtende Funkeln seiner Augen hielt seine Züge noch im Gleichgewicht.
Ich hätte gedacht, überlegte Nick, daß die Leute, die Cordons Schriften verbreiten und verkaufen, idealistisch gesinnt wären, edel. Aber offenbar stimmte das nicht. Seine Arbeit ist illegal; sie lockt jene an, die von Haus aus zu Illegalem neigen, und das sind Typen für sich. Die Dinge, die sie verhökern, interessieren sie nicht als solche; es geht ihnen allein darum, daß sie illegal sind und die Leute einen hohen, einen sehr hohen Preis dafür bezahlen.
»Bist du sicher, daß hier jetzt alles sauber ist?« fragte Denny das Mädchen. »Ich wohne hier, weißt du; ich halte
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