Die Mehrbegabten
Untersuchungen seines Klienten zu bezahlen vermochte, um zu beweisen, daß die Sucht überwunden sei. Aber das war natürlich nie der Fall. Ein Alkoholsüchtiger blieb, was er war, für immer, selbst nach der Plattschen Operation am Zwischenhirn.
»Wenn er mich umzubringen versucht, bringe ich ihn um«, sagte Charley. »Und im Grunde ist er viel ängstlicher als ich. Er hat eine Menge Ängste. Das meiste, was er tut, geschieht aus Angst – aus Panik, sollte ich vielleicht sagen. Er ist ständig in hysterischer Panik.«
»Und wenn er nicht getrunken hat?«
»Hat er auch Angst, und deshalb trinkt er… aber er wird erst gewalttätig, wenn er getrunken hat; er will einfach davonlaufen und sich verstecken. Das kann er aber nicht – weil er glaubt, daß die Leute ihn beobachten und wissen, daß er ein Händler ist – also trinkt er; und dann passiert es.«
»Aber durch das Trinken lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich«, sagte Nick. »Genau das, was er vermeiden will, erreicht er, nicht wahr?«
»Vielleicht will er erwischt werden. Er hat in seinem ganzen Leben noch nie etwas gearbeitet, bevor er mit Broschüren, Heften und Minibändern zu handeln anfing. Seine Familie hat ihn immer unterstützt. Und jetzt nützt er die Leicht – die, wie heißt das Wort?«
»Leichtgläubigkeit.«
»Nennt man es so, wenn man etwas glauben will?«
»Ja. Es kam der Sache ziemlich nahe.«
»Er nützt also die Leichtgläubigkeit der Leute aus, weil sie, jedenfalls viele, abergläubisch an Provoni glauben, wissen Sie? Daran, daß er zurückkommt. Das ganze Zeug, was man in Cordons Schriften findet.«
Fassungslos fragte Nick: »Wollen Sie damit sagen, daß Leute wie Sie, die immerhin mit Cordons Schriften handeln, die sie verkaufen – «
»Wir brauchen es deshalb doch noch nicht zu glauben. Muß der Mann, der jemandem eine Flasche Schnaps verkauft, selbst süchtig sein?«
Die Logik entsetzte ihn, so zutreffend sie auch war. »Es geht ums Geld«, sagte er. »Ihr lest vermutlich nicht einmal, was in den Broschüren steht. Ihr kennt nur die Titel. Wie jemand, der in einem Lagerhaus arbeitet.«
»Ich habe ein paar gelesen.« Sie sah ihn an, während sie sich die Stirn massierte. »Mein Gott, habe ich Kopfschmerzen. Haben Sie etwas Darvon oder Kodein zu Hause?«
7
»Nein«, sagte er, plötzlich voll Unruhe. Sie will die nächsten Tage bei mir bleiben, dachte er. »Hören Sie«, fuhr er fort, »ich bringe Sie zu einem Motel, aufs Geratewohl. Da findet er Sie nie. Ich bezahle für zwei Nächte.«
»Zum Teufel«, sagte Charley, »es gibt das Ortungs- und Kontrollzentrum, das die Namen aller Leute registriert, die in Nordamerika ein Hotel oder Motel aufsuchen; für zwei Pops kann er es benützen. Er braucht nur zum Fon zu greifen.«
»Wir benutzen einen falschen Namen.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?« Seine Unruhe wurde größer; schlagartig kam es ihm vor, als klebe sie an ihm wie Fliegenpapier; er konnte sie nicht mehr loswerden.
»Ich will nicht allein sein«, sagte Charley, »denn wenn er mich allein in irgendeinem Motelzimmer findet, wird er mich unbarmherzig zusammenschlagen; nicht in der Art, die sie beobachtet haben, sondern richtig. Ich muß mit jemandem zusammen sein; ich brauche Leute, die – «
»Ich könnte ihn nicht aufhalten«, sagte Nick ehrlich. Selbst Zeta hatte mit seiner ganzen Kraft Denny nicht länger als ein paar Minuten festhalten können.
»Mit Ihnen kämpft er nicht. Er will nur nicht, daß ein Dritter sieht, was er mit mir macht. Aber – « Sie machte eine Pause. »Ich darf Sie nicht mit hineinziehen. Das wäre Ihnen gegenüber nicht fair. Wenn es bei Ihnen eine Schlägerei gäbe und wir alle vom ÖSD geschnappt würden, weil man die Broschüren bei Ihnen fände… Sie kennen die Strafe.«
»Ich werfe sie weg«, beteuerte er. »Jetzt gleich.« Er kurbelte das Fenster herunter und griff nach dem Heft, das in seiner lasche steckte.
»Eric Cordon kommt also erst an zweiter Stelle«, sagte Charley mit neutraler Stimme, ohne rügenden Unterton. »Zuerst kommt, daß Sie mich vor Denny schützen. Ist das nicht komisch? Es ist wirklich komisch!«
»Ein Mensch ist wichtiger als theoretische – «
»Sie hängen noch nicht an der Angel, mein Lieber. Sie haben Cordon nicht gelesen. Wenn Sie es tun, empfinden Sie anders. Außerdem habe ich zwei Broschüren in meiner Handtasche, also spielt es gar keine Rolle.«
»Werfen Sie sie weg!«
»Nein«, sagte Charley.
Na prima, dachte er,
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