Die Meister der Am'churi (German Edition)
blieb das Misstrauen bestehen, doch es gab keine weiteren Zusammenstöße, und Brynn trottete mit hängendem Kopf in seiner Tiergestalt hinter seinem Rudel her, offenkundig gedemütigt und, zumindest für den Moment in Ungnade gefallen.
Das konnte heiter werden …
~*~
Ilanrin musterte den jungen Am’churi aus den Augenwinkeln, der so ruhig, scheinbar ausgeglichen neben ihm einherging. Ni'yo hatte ihn vom Tag seiner Geburt an fasziniert. Schon als Säugling war die Macht spürbar gewesen, die in ihm wohnte: Das Erbe von Elfen und Menschen hatte sich in ihm in Vollkommenheit verbunden, und das Ritual, das bei seiner Zeugung gewirkt wurde, hatte die Essenz von Am’churs Geist – eben das, was einem Am’churi ermöglichte, sich halb oder auch gänzlich in einen Drachen zu wandeln – mit einfließen lassen. Nicht bloß zwei, sondern drei Völker vereinigten sich in diesem Mann. Seine Drachennatur war es, was alle an ihm fürchteten. Würde Ni'yo sich dieser Macht bewusst werden und das Erbe der Drachen annehmen, wäre das die Geburt eines Geschöpfes, das selbst die alten Drachen fürchten müssten. Grenzen gäbe es für ihn nur noch insoweit, wie sein Verstand, vor allem aber seine Seele sie selbst zogen. Einmal entfesselt – wahrhaftig von allen Fesseln des körperlichen Seins befreit – könnte er selbst die Götter herausfordern. Vielleicht nicht Kalesh, den Sohn der Himmelsmächte, doch die anderen Götter gewiss. Das wahre Ausmaß von Ni‘yos Macht hatte Ilanrin zu fürchten begonnen, als sie ihn töten wollten – und es ihnen nicht gelang, diesen Jungen, der kaum das zweite Lebensjahr überschritten hatte, einzufangen. Ni'yo war ihnen entkommen, sie hatten ihn in Kraft und Geschwindigkeit unterschätzt. Und auch jetzt fiel es ihm schwer zu begreifen, dass dieser Junge, der ihm kaum bis an die Schulter reichte, dessen Leben doch gerade erst begonnen hatte, so viel Macht und Bedeutung besitzen sollte. Im Vergleich zu Ilanrin war Ni'yo immer noch beinahe ein Kleinkind!
Er wirkte so ernst und ruhig, von stiller Traurigkeit umgeben. Es hatte Ilanrin tatsächlich tief berührt zu sehen, wie Ni'yo und Jivvin sich trennen mussten.
„Kein Sterblicher sollte zwei Göttermissionen zu tragen haben. Diese beiden haben die Wette des Am’chur gewonnen ... Wer so eng verbunden wurde wie diese beiden, sollte nicht mit Gewalt auseinandergerissen werden. Götter!“
Ilanrin überlegte einen Moment lang, ob er sich Ni'yo öffnen sollte, ihm etwas von dem Mitgefühl zeigen, das er für ihn hegte, von der Schuld, die er trug, weil er seinem Gott gehorcht hatte. Schuld an der Gewalt, die Ni’yos und Lyneas Eltern angetan wurde, und Ni’yo selbst. Schuld an all den Grausamkeiten, die seine Krieger auf seinen Befehl hin begingen, um die Feindschaft, den Hass und die Furcht der Menschen gegen die Schattenelfen aufrechtzuerhalten, wann immer diese versuchten, sich ihnen zu nähern. Freundschaft bedingte Vertrauen, und das war eine Gabe, die sein Volk verloren hatte …
Nach einem Leben, das bereits über sechstausend Jahre währte, hatte Ilanrin dennoch nicht gänzlich aufgeben wollen, sich nach Wärme, Licht, Frieden und Liebe zu sehnen, obgleich er mehr als fünf Jahrtausende im Schatten verbracht hatte. Lange Zeit hatte er gar nichts mehr fühlen können, geglaubt, bereits alles gesehen zu haben, was diese Welt zu bieten hatte. Zu viele Winter waren vergangen, zu viele Freunde gestorben, zu viele Feinde unter seiner Hand gefallen, als dass er noch die Kraft besaß, sich Veränderung oder ein besseres Leben vorstellen zu können. Ni'yo war es, der Veränderung gebracht, ja, erzwungen hatte. Ilanrin spürte, wie er selbst sich wandelte, und fürchtete sich davor. Doch war er nicht so alt geworden, weil er spontanen Launen nachgab, darum blieb er kalt und nach außen hin abweisend.
Nur ein Freund kann dich verraten, bei einem Feind weißt du, dass du stets das Schlechteste zu erwarten hast! Das war das eherne Gesetz, dem alle Handlungen der Kalesh zugrunde lagen. Einst hatten sie vertraut, Freundschaft freigiebig verschenkt. Dieses Vertrauen hatte den Krieg gegen die Drachen verursacht und das Volk der Elfen unter die Erde gezwungen. Sie hatten alles aufgeben müssen, was sie liebten, alles verloren. Hoffnung auf Rückkehr der alten Zeiten hegte niemand mehr. Nur Erinnerungen waren geblieben, und mit ihnen die unstillbare Sehnsucht …
Ilanrin spürte, dass Ni’yo ihn beobachtete. Er wusste, wie viele Fragen
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