Die Meister der Am'churi (German Edition)
und in einer Gemeinschaft zu leben, die ihn nicht nur ausgrenzte, sondern am liebsten tot sehen wollte. Es war um ein Vielfaches schrecklicher, in einer düsteren Höhle voller geflügelter Monster zu sitzen als in einem Am’churtempel. Doch die Einsamkeit, das Gefühl, hilflos auf sich allein gestellt zu sein und keinen Zugang zu Nahrung zu haben – all dies hatte er ein Leben lang durchgestanden. Ni’yo suchte sich einen Felsspalt, groß genug, dass er hineinschlüpfen und Schlaf finden konnte, unerreichbar für Drachenklauen.
Fünfzehn Tage Einsamkeit … Wenn es nicht schlimmer wird als bis jetzt, kann ich es schaffen … Aber nun, es wird schlimmer werden. Das ist gewiss.
12.
„Hier, wir haben alles für euch vorbereitet.“ Norim verneigte sich leicht und wies auf die steinerne Pforte, hinter der Yumari die gewaltige Hitze des feurigen Erdinneren spüren konnte. Sie befanden sich noch weit unterhalb von Almular, weit unten im Inneren der Erde. Der Augenblick, dem ihr Leben von den Göttern geweiht worden war, in dem sie die Hand sein sollte, die das Schicksal formte, das Gefäß für die göttliche Macht, um zu vollbringen, was die Unsterblichen nicht zu leisten vermochten – oder wollten – dieser Augenblick war gekommen. Yumari hatte erwartet, wütend oder enttäuscht zu sein, wenn es erst einmal soweit war. Sie hasste den Gedanken, als Werkzeug missbraucht zu werden. Doch sie fühlte nichts außer Vorfreude auf die Herausforderung, einer solchen Hitze widerstehen zu können. Jivvin hingegen hatte wieder diesen Ausdruck im Gesicht, den sie schon mehrfach beobachtet hatte, eine Mischung aus Sorge, Ungeduld und finsterer Entschlossenheit.
Der Ärmste … Wir beide hier können ziemlich sicher sein, dass die Götter auf uns aufpassen und das Schmieden der Kette gelingen wird. Ni’yo hingegen ist allein da unten, niemand passt mehr auf ihn auf, niemand kann ihm zu Hilfe kommen und es hängt allein von ihm ab, wer sterben und wer leben wird …
„Na komm, Kleiner, lass uns Stahl kochen und den Göttern spielen helfen, hm?“, sagte sie aufmunternd und versetzte Jivvin einen freundschaftlichen Hieb zwischen die Schulterblätter. Als sie durch die Pforte trat, schlug ihr solche Hitze entgegen, dass sie spürte, wie ihre Augenbrauen zu versengen begannen. Amboss, Werkzeug, Schmiedehammer, Gussform für die ovalen Kettenglieder – das alles würden sie erst später benötigen, wenn sie gebrauchsfähigen Stahl hergestellt hatten – etwas, das Yumari bislang nur aus den Erzählungen der Am’churi kannte. Ein feuerfester Behälter lag dafür bereit, Roheisen, rostiges Alteisen, Kalk, heißes Wasser und jene roten Kristalle, aus denen sie mittels Schwefelsäure Kromas herstellen sollte, das dem Stahl seine Festigkeit schenken würde. Die Kunst war hier vor allem, die richtigen Temperaturen zu erkennen, die für jeden Prozessschritt notwendig waren, und nachher beim Erstellen des Stahles konstant Luft zuzupumpen. Letzteres würde wohl Jivvins Aufgabe sein …
Jivvin hustete hinter ihr, auch sie fand es schwierig, hier drinnen zu atmen. Ihr lief der Schweiß bereits in Strömen über den Körper.
„T’Stor, wäre ein guter Moment, wenn du jetzt kommst“, brummte sie und schnitt der Erinnerung an ihre Mutter, die über solche Götterlästerung halb verrückt geworden wäre, eine Grimasse.
„Hast du dich verwandelt? Als Halbdrache kommst du hier sicher besser zurecht, meinst du nicht?“, fragte sie. Noch während sie sich zu Jivvin umwandte, spürte sie plötzlich eine Macht, die regelrecht in ihrem Inneren explodierte. Yumari zwinkerte verwirrt. Sie hatte erwartet, dass sie sich womöglich in einen Bären verwandeln würde. Oder dass der Gott zu ihr sprach und ihr sagte, was sie zu tun hatte. Irgendetwas Spektakuläres, wie bei den Am’churi eben. Doch sie fühlte sich eigentlich nur ein wenig, als wäre sie vom Blitz getroffen worden …
„Alles in Ordnung?“ Jivvin. Seine Stimme war tiefer und rau. Er war verwandelt, das war gut so. Erst, als sie spürte, wie er ihre Hand ergriff, wurde Yumari bewusst, dass sie am Boden lag.
„Oh. War ich etwa ohnmächtig?“ Jivvin grinste sie an, was bei seiner Drachenfratze ein grässlicher Anblick war. Brummend vor Verärgerung rappelte sich Yumari hoch. Die Hitze störte sie nicht mehr. Sie fühlte sich stark wie nie zuvor, dazu leicht euphorisch, und sie wusste genau, was sie jetzt zu tun hatte.
„Mach mal Platz, mein Hübscher, ich muss sehen,
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