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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Pfeffersäcke reicher zu machen, sondern weil sie der Meinung war, dass die Nachricht für alle Bürger wichtig war.
    «Nein, mein Kind, es ist nicht gerecht», gab Carolus mit betrübter Miene zu. «Aber wir drucken die Gazette nicht, um durch sie eine neue Welt zusammenzuzimmern. Unsere Aufgabe ist es zu informieren. Nicht zu belehren oder gar zu tadeln.»
    Auf dem Heimweg dachte Henrika über die Worte des Druckers nach. War sie zu enthusiastisch an die Sache herangegangen, oder hatte sie einfach zu hohe Maßstäbe angelegt? Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass bald jeder in der Lage sein würde, die Zeitung zu kaufen und seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Carolus’ Werk stellte nicht die Ordnung, in der sie lebten, in Frage. Wäre es so, hätte die Zeitung keine Chance, das Jahresende zu erleben. Sie würde mitsamt ihrem Drucker an den Pranger gestellt und verboten. Auf der anderen Seite durfte man sich doch die Gelegenheit, aufzuklären und die Menschen mit neuen Erkenntnissen herauszufordern, nicht so ohne weiteres aus der Hand nehmen lassen.
    Alles veränderte sich, gleichgültig ob der Drucker seine Presse bediente oder nicht. Erreichten sie nicht jede Woche Nachrichten über neue Bücher, in denen gelehrte Männer ihre Beobachtungen der Natur darlegten oder von Erfindungen berichteten? Was war mit den Entdeckungen, die Seefahrer in der Neuen Welt gemacht hatten? Lohnte es sich nicht, darüber zu berichten? David und Laurenz arbeiteten bereits daran, der Zeitung ein Gesicht zu verleihen, das es Adam leichter machte, Käufer anzuziehen. Doch bislang vermochte keiner ihrer Einfälle, Carolus zu überzeugen.
    Zu Hause befreite Henrika ihre schmerzenden Füße von den zu engen Holzschuhen und verspeiste mit wenig Appetit einen Teller Mehlsuppe, den Emma ihr aufgehoben hatte. Aus der Kammer des Wundarztes drangen gleichmäßige Schnarchlaute.
    Es war schon spät und das Feuer fast heruntergebrannt. Trotzdem fand Henrika keinen Schlaf. Sie holte sich Papier, Schreibfeder und Tintenfass und begann zu zeichnen und zu schreiben. Carolus hatte recht. Die Zeitung brauchte ein ansprechendes Äußeres, aber auch einen Namen, den die Krämer auf den Märkten und vor den Kirchen ausrufen konnten. Als der Tag anbrach, fand Emma das Mädchen schlafend am Tisch. Es war eiskalt in der Stube. Der Wind blies Graupelschauer gegen die dünnen Fensterscheiben. Kopfschüttelnd rüttelte sie Henrika wach.
    «Es ist Zeit zum Aufstehen», sagte sie mit einem leisen Tadel in der Stimme. «Du wirst noch vor Erschöpfung umfallen, wenn du nicht besser auf deine Gesundheit achtest. Glaub mir, kein Mann interessiert sich für ein Mädchen, das bleich ist wie der Tod und zudem nur aus Haut und Knochen besteht.»
    Henrika wankte zum Spültisch, auf dem eine Schüssel mit Wasser stand. Ihre Beine kamen ihr so schwer vor, als bewegte sie zwei Säcke voller Rüben. Benommen suchte sie ihr Spiegelbild und erschrak, als ein kantiges Gesicht mit spitzen Wangenknochen vor ihr erschien.
    «Ich sehe furchtbar aus», murmelte sie benommen. Das Bild in der Waschschüssel nickte zustimmend. Emma hatte recht; sie fühlte sich wirklich nicht wohl; in ihren Schläfen hockte ein unbarmherziger gnomenhafter Schmied, dem es Vergnügen bereitete, mit seinem Hammer von innen gegen die Schädeldecke zu schlagen. Sie konnte nur hoffen, dass sie keine Erkältung bekam oder sich gar die Schwindsucht zugezogen hatte. Nach all den Entbehrungen der vergangenen Monate wäre dies nicht verwunderlich gewesen. Sie wischte den unangenehmen Gedanken beiseite. Es gab keinen Grund, sich gehenzulassen. Ihre Entwürfe für die Gazette fielen ihr ein. Meister Carolus und Laurenz würden beide staunen, wenn sie die Zeichnungen erst einmal zu Gesicht bekamen. Rasch trat sie an den Tisch, den Emma gerade mit einigen Schüsseln und Bechern für die Morgenmahlzeit deckte, und rollte das Papier zusammen.
    «Hast du Angst, dass ich deine Zeichnung ins Feuer werfe?», spottete die Frau des Wundarztes, verstummte aber, als sie in Henrikas fiebrig glitzernde Augen blickte. «Na, na, so habe ich es nicht gemeint.» Begütigend hob sie die Hand. «Dein Bild ist ganz hübsch, wirklich. Ich wusste gar nicht, dass du so gut zeichnen kannst.» Henrika atmete tief durch; mit spitzen Fingern kniff sie sich in die Wangen, um ihnen zu etwas mehr Farbe zu verhelfen. Sie hatte Barthel zwar einige Male beim Skizzieren seiner Grundrisse über die Schulter geblickt, sich aber nur höchst selten am

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