Die Meisterin der schwarzen Kunst
Platz.
Obwohl Henrika nach der anstrengenden Fahrt über die steinigen Landstraßen müde war, ließ sie sich von der Feiertagsstimmung rasch anstecken. Flandern gefiel ihr. Während David nicht zu bewegen war, den Tisch am Fenster zu verlassen, verließ sie die Herberge im Strom der ausgelassenen Männer und Frauen. Auf dem Dorfplatz kostete sie von der dicken Suppe aus Fleisch, Butterrahm und Kräutern, die eine rotwangige Frau ihr freundlich anbot, und fand sich schließlich inmitten der Sackpfeifer und Fiedler wieder, die zum Tanz aufspielten. Ehe sie protestieren konnte, packten sie auch schon zwei Burschen bei den Händen und zogen sie auf den festgestampften Platz, wo sich bereits zahlreiche Dorfbewohner zum Reigen eingefunden hatten. Auch die Mädchen, die noch abseits standen und zuschauten, wurden alsbald auf den Tanzboden geholt. Dieser war mit Wald- und Wiesenblumen sowie mit Kräutern bestreut, die einen würzigen Duft absonderten.
Henrika tanzte, bis ihr der Atem ausblieb. Inzwischen war es dunkel geworden. Der Mond tauchte die Schindeldächer des Dorfes in ein silbernes Licht. Fackeln wurden in den Boden gerammt, Hausfrauen und Mägde stellten Kerzen und Öllampen in die Fenster. Als es Henrika endlich gelang, sich vom Tanzboden zu stehlen, schlug die Kirchturmuhr zum zehnten Mal, doch noch war kein Ende des fröhlichen Treibens in Sicht. Henrika lief zur Herberge zurück, vor deren Tür inzwischen mehrere Greise mit grauen und weißen Bärten auf Bänken beisammensaßen, Karten spielten und dunkles Bier tranken.
Sie fand David in Gesellschaft eines Mannes, der trotz seines fortgeschrittenen Alters lebhaft wirkte. Er schien im Dorf hohes Ansehen zu genießen, denn als einziger der Männer saß er in einem hohen, mit weichen Kissen gepolsterten Sessel. Sein linker Fuß war verbunden und ruhte auf einem Fußbänkchen. Vermutlich litt er an der Gicht. Von Zeit zu Zeit streckte eine hübsche blonde Magd ihren Kopf aus dem Fenster und erkundigte sich, ob es ihrem Herrn und seinen Gästen auch an nichts fehlte. Henrika betrachtete den Alten mit unverhohlener Neugier. Seine Kleidung und das Barett auf seinem Kopf sahen weder neu noch kostbar aus, zeugten aber von einem bescheidenen Wohlstand. Er trug das glatte, noch immer dichte Haar streng gescheitelt und im Nacken mit einer Lederschnur zusammengebunden. Zu dem schmalen Gesicht mit den intelligenten Augen passte das nach spanischem Vorbild gestutzte Spitzbärtchen, denn es untermalte die würdevolle Haltung des Greises auf formvollendete Weise. Vermutlich zählte der Mann zu den Dorfältesten und Schöffen oder nahm zumindest eine ähnlich bedeutsame Stellung im Ort ein.
Als David Henrika bemerkte, stellte er sogleich seinen Bierkrug ab und erhob sich, um sie seinem Gesprächspartner vorzustellen.
«Das ist Herr Jan van Sneek, der Besitzer dieser Herberge und zudem Mitglied des Schöffengerichts der Provinz, durch die wir gerade reisen. Ich habe ihm erzählt, dass wir in geschäftlichen Angelegenheiten nach Antwerpen müssen.»
Henrika deutete eine kleine Verbeugung an, die in einem eleganten Knicks endete. Der alte Mann schmunzelte. Er winkte die Magd aus seinem Haus herbei und bestellte bei ihr eine Kanne Wein sowie einen weiteren Becher für Henrika.
«Ihr seht durstig aus, Jungfer», erklärte er höflich. «Setzt Euch doch und trinkt ein Schlückchen mit uns. Hier in Flandern gilt der alte Brauch der Gastfreundschaft. Wir feiern gern fröhlich, wie Ihr seht, während unsere Brüder in den nördlichen Provinzen im Tanzen und dem Klang der Sackpfeife ein sündiges Übel sehen.»
David rückte ein Stück auf, sodass Henrika neben ihm auf der Bank Platz fand.
«Ich verstehe, was Ihr meint, Herr», sagte Henrika. «Ich verbrachte meine Kindheit in der Obhut von Calvinisten und kenne ihre Einstellung zu weltlichen Vergnügungen genau. Dorffeste gab es bei uns nur zu seltenen Anlässen. Niemals aber versprühten sie so viel Lebensfreude, wie ich sie heute bei Euch erleben durfte.»
«Es ist eine unterdrückte Freude, die Ihr wahrnehmt, Jungfer», sagte der alte Mann. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und seine Lippen wurden schmal. «Der unselige Krieg, der nun schon seit so vielen Jahren zwischen den Spaniern und Niederländern tobt, hat viel Leid und Elend verursacht. Und er hat uns gelehrt, dass wir niemals preisgeben dürfen, was wir wirklich empfinden. Zu viel Offenheit könnte uns jederzeit Verderben bringen. Seht Ihr den Pfad, der
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