Die Meisterin der schwarzen Kunst
überhörte die letzte Bemerkung mit einem säuerlichen Lächeln. In der Tat hatte sie sich viel Mühe gegeben, aus dem sonnigen Raum ein Quartier zu machen, in dem ihr neuer Herr ungestört seiner Arbeit nachgehen konnte.
Barthel gähnte vor dem Frühstückstablett, offensichtlich hatte er kaum geschlafen, zu sehr nahmen ihn seine Berechnungen und Skizzen in Anspruch.
Henrika stieß das Fenster auf und ließ frische Luft in das Kabinett. Dann trat sie an das Pult; sie wollte sehen, was Barthel gezeichnet hatte. Seine Pläne interessierten sie weitaus mehr als die Hausarbeit, und zuweilen, wenn Barthel guter Laune war, nahm er sich die Zeit, um ihr seine Vorstellungen auseinanderzusetzen.
«Habt Ihr Euch schon für ein Festungsmodell entschieden, Herr?», erkundigte sie sich zaghaft.
Barthel blickte auf. «Was wir zunächst brauchen, sind Unterkünfte für die Arbeiter und die Soldaten», sagte er im ungeduldigen Ton eines Schulmeisters. «Wir können die Männer kaum im Dorfgasthof unterbringen.» Er faltete eine Landkarte auseinander und deutete auf einen winzigen markierten Punkt. «Hier unten am Waldrand wird eine Siedlung für die Arbeiter entstehen. Ich denke, fürs Erste werden dreißig oder vierzig Hütten genügen. Die Krämer und Marketenderinnen, die auf die Baustelle kommen, müssen ihre eigenen Zelte aufschlagen oder Buden bauen. Kurfürst Friedrich hat mir außerdem versprochen, bewaffnete Männer zu schicken, die meine Ausrüstung und die bereits angelegten Gräben bewachen.»
Henrika sah ihn bestürzt an. Rechnete Barthel wirklich mit Auseinandersetzungen zwischen der Dorfbevölkerung und den Arbeitern?
«Ich würde mich wesentlich wohler fühlen, wenn Eure Soldaten schon hier wären», gestand sie nach einigem Zögern. «Was geschieht, wenn man uns hier angreift? Dieses Haus ist nicht gerade eine Festung.»
Barthel unterdrückte ein Gähnen. «Die sollen nur kommen, dann lernen sie meine Muskete kennen. Komm, ich will dir mein Festungsmodell zeigen.»
Henrika versuchte, Barthels Erklärungen zu folgen, aber ihre Gedanken schweiften ab. Warum weigerte er sich nur so beharrlich, ihr zu sagen, wie er ihre Mutter getroffen hatte? Wenn die Zeit gekommen sei, vertröstete er sie, würde sie erfahren, was nötig war. Bis dahin solle sie sich in Geduld üben. Da sie Barthel nicht zwingen konnte, mit ihr zu reden, blieb ihr wohl keine andere Wahl.
6. Kapitel
In der folgenden Nacht fand Henrika keine Ruhe. Immer wieder schreckte sie aus ihrem leichten Schlaf auf, weil sie das Geräusch knarrender Dielenbretter oder zuschlagender Türen im Haus gehört zu haben glaubte. Das war eigentlich nicht möglich, denn vor dem Schlafengehen hatte sie sich zweimal versichert, dass alle Eingänge verschlossen und die Läden vor die Fenster geschlagen waren. Schließlich gab sie den Versuch, wieder einzuschlafen, auf und starrte benommen in die Dunkelheit.
Ihrem Bett gegenüber hing ein hübsches Kleid aus flaschengrünem Brokatstoff mit aufgesetzten Stickereien, das Barthel für sie aus der Stadt mitgebracht hatte. Es passte wie angegossen, ein Umstand, über den Henrika sich nur wundern konnte, denn noch nie hatte ein Schneider ihre Maße genommen. Bislang hatte sie stets nur Agathas abgelegte Röcke und Schnürkittel getragen. Hatte der Festungsbaumeister heimlich mit den Augen Maß genommen, oder gab es eine Frau in seinem Leben, die zufällig Henrikas Statur besaß? Sie fand keine Antwort darauf. Hinweise auf eine Liebschaft hatte sie bislang nicht entdecken können, auch wenn Barthel hin und wieder nach Heidelberg ritt und dann erst spät in der Nacht zur Zollschreiberei zurückkehrte. Was er in Heidelberg tat, mit wem er sich traf, konnte Henrika nicht sagen, denn wie ihr Pflegevater Hahn lehnte auch Barthel es ab, sich von ihr begleiten zu lassen.
Henrika streckte die Hand aus, um das kostbare Tuch zu berühren. Es war weich und fühlte sich kühl und glatt an. Am liebsten hätte sie es auf der Stelle angezogen.
Als die Turmuhr zum vierten Mal schlug, beschloss Henrika aufzustehen. Trotz ihrer Müdigkeit war sie froh, die frühen Morgenstunden für sich allein zu haben, denn Barthel verlangte für gewöhnlich erst spät nach seinem Frühstück.
Das Treppenhaus lag stockfinster vor ihr, allein das fahle Licht des Mondes, das durch eines der spitz zulaufenden Fenster ins Haus drang, warf einen schmalen Schein vor ihr auf die Stufen. Vor Barthels Kabinett blieb sie stehen und lauschte, doch aus der Stube
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