Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
wagte sie nicht einmal, daran zu denken. Zu ihrer Überraschung waren die Hände des alten Mannes warm und trocken.
    «Stell dich nicht so an», knurrte Agatha, als der Blinde die Wunde zwischen ihren Schulterblättern wusch und anschließend eine streng riechende Salbe gleichmäßig auf dem Rücken verteilte. Glücklicherweise hatte sie nicht viel Blut verloren.
    «Ein wenig Gänsefett mit Ringelblume und Lilienblättern, vermischt mit persischer Schalotte», murmelte Meister Priem vor sich hin. Er schnüffelte, als entstiegen seinem Tiegel die Wohlgerüche des Morgenlandes. «Das bekämpft die Entzündung im Leib, ein Aderlass wird also nicht nötig sein. Stattdessen werde ich der Kleinen noch einen Sud aus Weidenrinde brauen. Er hilft gegen das Fieber.» Er verschwand hinter einem Vorhang, der in den Nebenraum führte. Dort konnte Henrika ihn mit Töpfen hantieren hören.
    «Was hast du da?» Agathas scharfe Augen hatten Barthels Briefe entdeckt. In der ganzen Aufregung hatte Henrika nicht mehr an sie gedacht.
    «Die Aufzeichnungen gehörten meinem Dienstherrn. Wie es scheint, wollte Anna von Neufeld um jeden Preis verhindern, dass Barthel mich bei sich behielt. Warum, weiß ich nicht, aber ich vermute, dass er deswegen sterben musste.»
    «Dann klebt Blut an den Briefen», entschied die Hutmacherin grimmig. «Du darfst sie auf keinen Fall behalten, wenn du nicht willst, dass dich dein ganzes Leben lang Todesdämonen verfolgen.» Kurz entschlossen schnappte sie sich die Blätter und lief mit ihnen zur Herdstelle. Henrika rollte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite und hob die Hand, doch ehe sie es verhindern konnte, hatte Agatha die Briefe auch schon in die Flammen geworfen.
    «Du wirst mir eines Tages dankbar sein», sagte sie leise.
    «Du hattest kein Recht, diese Aufzeichnungen zu verbrennen!» Henrika merkte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. «Sie waren Barthels Vermächtnis an mich. Wie soll ich nun herausfinden, was er über meine Herkunft wusste?»
    «Überhaupt nicht, wenn du mich fragst.» Agatha nahm einen Schürhaken und schob das bereits lodernde Papier tiefer in die Glut. Die Flammen knisterten. «Als du klein warst, hattest du immer nur dieses … dieses Lied des Teufels im Sinn. Du hast es gesungen, während du die Hühner füttertest und meinem Mann in der Werkstatt halfst. Ja, sogar in der Kirche hast du nicht davon abgelassen, bis die Ältesten dich als Störenfried bezeichneten und auf eine eigene Bank setzten, weil du der Gemeinde unheimlich geworden warst. Ich wollte stets, dass du ein ehrbares Dorfmädchen wirst, das die Not niemals kennenlernen muss. Allein aus diesem Grund habe ich meinen guten Hahn ermuntert, den Beutel mit Geld anzunehmen, der einmal im Jahr für dich übergeben wurde.»
    «Von dem Geld habe ich nie etwas zu sehen bekommen.»
    Agatha deutete auf eine der beiden Satteltaschen, die sie auf den Tisch gelegt hatte. «Viel ist nicht mehr übrig, aber ein paar rheinische Gulden habe ich zurückbehalten. Sie gehören dir.»
    Henrika verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf und blickte hinauf zur Decke, durch deren Flechtwerk sich ein hässlicher Wasserfleck fraß. Sie war todmüde, und ihr schwirrte der Kopf von all den neuen Eindrücken, die sie erst einmal verarbeiten musste. Zudem konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären, warum Agatha ihr eigenes Leben riskiert hatte, um sie zu Meister Priem zu begleiten. Die Alte hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Henrika nicht mochte. Was um alles in der Welt mochte sie also umgestimmt haben?
    «Wohin wirst du gehen?», fragte Agatha nach einer Weile. «Ich werde tun, was ich kann, um in Mannheim den Verdacht gegen dich zu zerstreuen. Aber wenn man mir nicht glaubt, fürchte ich, dass sie dir auch den Tod des Schuhmachers anlasten werden. Dann kannst du nie wieder nach Mannheim zurückkehren.»
    «Keine Sorge, Mutter, das habe ich auch nicht vor.» Henrika bewegte vorsichtig die Schultern. Die ranzige Salbe des Blinden wirkte Wunder, der Schmerz, der von der Schnittverletzung herrührte, war schon erträglicher geworden. Sie nahm den einfachen Bauernkittel, den Agatha ihr reichte, dankbar entgegen und ließ ihn mit erhobenen Armen über ihren Oberkörper gleiten. Das Tuch fühlte sich auf ihrer Haut weich an und duftete schwach nach Heublumen, getrockneter Minze und Kamille.
    «Allerdings habe ich auch nicht die Absicht, Anna von Neufeld einfach so davonkommen zu lassen», erklärte sie danach. «Sie

Weitere Kostenlose Bücher