Die Melodie des Todes (German Edition)
Felicia bereits wenige Wochen, nachdem sie die Webseite gestartet und einige Google-Anzeigen in Auftrag gegeben hatte, den Mut verloren. Die Mailbox von norwegianroots.com war nämlich traurig leer geblieben. Bis gestern. Endlich hatte Felicia Stone ihren ersten Kunden. Und damit nicht genug. Die Ermittlerin in ihr spürte sofort, dass diese Anfrage nicht uninteressant war, eine Herausforderung, die zu meistern aber nicht unmöglich war.
Siri war fertig mit dem Tee. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich aufs Sofa. Es war ungewohnt, nicht wie üblich zwischen den unterschiedlichsten Raritäten zu hocken.
»Ein Mann vom Lake Superior hat mich kontaktiert«, erzählte Felicia. »Er besitzt den Druck eines Bänkelliedes aus dem 18. Jahrhun dert und glaubt, dass dieser Druck einem norwegischen Vorfahren von ihm gehört hat. Text und Noten sind hier in der Stadt gedruckt worden.«
Felicia war richtig aufgeregt und sprach eine Mischung aus Norwegisch und Englisch. Sie nahm ein zusammengefaltetes Blatt aus der Tasche.
»Das hat er eingescannt und geschickt«, sagte sie und gab Siri das Blatt.
Die Freundin warf einen kritischen Blick darauf. Dann begann sie vom Blatt zu singen. Felicia, die nicht vom Blatt singen konnte, hörte genau zu und versuchte, die etwas traurig klingende Melodie, so gut es nur ging, im Kopf zu behalten. Sie gefiel ihr.
»Druckereiwerkstatt Winding«, murmelte Siri zum Schluss. »Und dein Klient weiß wirklich nicht mehr über diesen Druck?«
»Geschrieben hat er nichts.«
»Das Titelblatt fehlt. Deshalb wissen wir weder den Titel des Liedes noch wer es geschrieben hat, oder ob vielleicht zwei Leute dafür verantwortlich sind, einer für den Text und einer für die Musik.«
»Ich habe meinem Kunden per Mail zu vielen dieser Punkte Fragen gestellt, aber noch keine Antwort bekommen.«
»Vermutlich steht der Autor in der kompletten Druckausgabe. Wenn wir Glück haben, gibt es mehrere Ausgaben, denn dann stehen die Chancen gut, dass sich eine davon in der Gun nerusbibliothek befindet. Wir haben eine große Sammlung alter Bänkellieder.«
»Das heißt, du kannst mir helfen?«
»Klar kann ich das. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern.«
Damit drehte Siri Holm die Musik wieder lauter. Hon har inga krav; lider inte av diva-later. Tar upp i sin säng herremann och dräng, bönder och soldater. Cornelis’ spielerische, präzise Stimme erfüllte den Raum. Sie tranken ihren Tee und redeten über andere Dinge, unter anderem, was sie Odd zum bevorstehenden 60. Geburtstag schenken wollten. Beide waren sich einig darüber, dass sie etwas Einfallsreicheres finden mussten als eine Flasche Rød Aalborg, obwohl er sich nichts anderes gewünscht hatte.
8
E lise Edvardsen hatte wieder einmal eine spitze Bemerkung gegenüber ihrer Tochter gemacht, bevor sie selbst ins Bett gegangen war. Sie wusste nicht, warum ihr immer wieder diese sarkastischen Spitzen über die Lippen rutschten. Sie sah sich selbst nicht als boshaft. Trotzdem gelang es ihr immer seltener, sich zurückzuhalten. Immer wieder machte sie sich wegen Kleinigkeiten über ihre 16-jährige Tochter lustig. Ein Probe, die schiefgegangen war, oder irgendwelche Kleider, die sie gekauft hatte, die ihre Tochter aber nicht anziehen wollte. Ist dir H&M jetzt nicht mehr gut genug? Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie ich eine so vornehme Tochter bekommen konnte . Am schlimmsten war es, wenn ihre Tochter auf einem Kaugummi herumschmatzte. Diese Geräusche weckten wirklich den Teufel in ihr. Musst du wie ein Walross schmatzen, das in seiner eigenen Spucke ersäuft? Wie war es nur so weit gekommen? Bald würden sie gar nicht mehr miteinander reden, dabei waren sie einmal richtig gute Freundinnen gewesen. Selbst Julies Gesang brachte sie jetzt zur Weißglut. Weil sie immer davon aufwachte. Aber an diesem Morgen nicht.
Die ganze Nacht hindurch war sie wieder und wieder von Albträumen aus dem Schlaf gerissen worden. Immer war es dabei um dumme Auseinandersetzungen gegangen. Streit zwischen Ivar, Julie und sich selbst über die abstrusesten Dinge, von den Fernsehgebühren bis hin zu der Frage, welchen Sonnenschutzfaktor man in den Osterferien brauchte. Als sie wach wurde, irritierte die Stille im Haus sie umso mehr. Ivar atmete langsam und leise neben ihr, als strenge er sich an, sie nicht zu stören. Sie musterte seine blasse Nase, die unter der Decke hervorragte. Seine Nasenflügel folgten dem Luftstrom mit einer Ruhe, die für sie fast gespielt
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