Die Melodie des Todes (German Edition)
wieder zu ihr. Sie hörte mit dem Singen auf. Sie hatte die Beine leicht gespreizt und den Kopf auf den Boden gelegt.
Er packte ihre Haare und schleuderte sie gegen die Wand. Sie schrie, was ihn etwas beruhigte. Er schlug ihr auf die Wange.
»Bitte, bitte tun Sie das nicht!«, flehte sie. »Ich will nach Hause.«
»Du wirst nirgendwo hingehen, kleine Freundin«, sagte er.
Und da verstand sie endlich.
Sie sackte zusammen und er sprang auf sie zu, zog sie hoch und trat ihr in den Bauch, sodass sie nach hinten geschleudert wurde und gegen die rückwärtige Wand schlug, bevor sie wieder auf ihn zu kippte. Langsam rappelte sie sich auf und fuhr mit der Hand durch die Luft, als winkte sie ihm zu. Dann sackte sie murmelnd auf die Knie, während er sie die Behandlung noch einmal schmecken ließ, sie an die Wand drückte und auf sie einschlug wie auf eine Matratze. Irgendwann schien alles in ihr nachzugeben und sie sackte auf den Boden. Die Knie knickten ein und der Kopf fiel herunter, als wäre ihr Genick gebrochen. Doch dann zog sie sich wieder hoch, Zentimeter für Zentimeter.
Sie konnte nicht reden, sie konnte nicht hören, sie konnte nicht sehen. Er verstand nicht, wie es ihr gelang, zu atmen und aufrecht stehen zu bleiben. Aber sie hob den Kopf, atmete gurgelnd und streckte die Arme zur Seite. So blieb sie stehen, bis sie auf ihn kippte. Ein klarer Ton kam aus ihrer Kehle, als versuchte sie, ein letztes Mal zu singen. Vielleicht war es ein Gebet.
Er traf sie mit einem Schlag am Kinn und sie ging wie ein Sack Zement zu Boden. Und dieses Mal blieb sie liegen.
… Garstig und schön dort im Tod zuletzt sich zu Staub vereinen!
Hinter sich hörte er Åkerströms warmen, tiefen Bass.
Die Musik des kleinen CD-Spielers, der draußen vor dem Verschlag neben der Matratze stand, erfüllte den ganzen Keller und half ihm, seine Gedanken schweifen zu lassen. Er war erschöpft, als hätten die Schläge ihn selbst getroffen und nicht sie. Dann ließ er sich auf die Matratze sinken, den Kopf voller Bilder von dem reglosen Körper.
Jetzt, viele Tage später, konnte er sich diese Bilder noch immer ins Gedächtnis rufen und durch sie zur Ruhe finden.
*
Singsaker fühlte den Druck in seiner Brust und wie das Blut sich in das schwammartige Netz aus dünnen Adern in den äuße ren Hautschichten presste. Er hatte die Augen geöffnet und sah das verschwommene Dunkel unter sich. Es war wie eine unbeantwortete Frage, ein unaufgeklärter Fall.
Er hing da, beide Arme ausgestreckt, und starrte in die salzi gen Wassermassen. Die Taubheit seiner Haut war wie eine Läh mung, er spürte nicht mehr, ob ihm kalt oder warm war. Alle Körperfunktionen waren auf Stand-by. Ebenso seine Gedanken. Was sich wie eine Ewigkeit anfühlte, dauerte in Wirklichkeit nur ein paar Sekunden. Länger hielt man es mit dem Kopf in dem eiskalten Wasser nicht aus. Dann begann er, mit den Beinen zu strampeln. Es war ein Reflex, keine gesteuerte Hand lung, aber dieser Reflex kam jedes Mal und brachte ihn wieder nach oben. Er hatte die Augen noch immer geöffnet und sah die Sonne wie einen zappligen, goldenen Tintenfisch durch die Wasseroberfläche schimmern, auf der sich eine dünne Eis haut gebildet hatte. Er durchbrach die Oberfläche und schnappte nach Luft. Um ihn herum war noch immer alles voller Blasen. Dann johlte er wie ein kleiner Junge:
»Verdammt! Das ist jedes Mal gleich übel!«
»Und gleich toll!«, ergänzte Thorvald Jensen, der bereits in ein Handtuch gewickelt über ihm auf dem Steg saß.
Singsaker schwamm mit drei raschen Zügen zur Badetreppe und kletterte zu seinem Kollegen nach oben.
»Toll?«, fragte er und nahm das andere Handtuch. »Mich über zeugt es eher davon, dass es in der Hölle auch schneien kann.«
Jensen lächelte.
»Das wusste schon Dante. Sind die Verräter bei ihm nicht in Kokytos gelandet, dem Eissee im neunten und innersten Zirkel der Hölle?«
»Willst du damit sagen, dass ich, wenn ich dich im Stich lasse und mir dieses blödsinnige Eisbaden spare, dort lande?«, fragte Singsaker grinsend.
»Ja, eine verdammte Ironie, nicht wahr?«, konterte Jensen.
Nach der wahnsinnigen Mordserie im letzten Herbst hatten sie sich immer wieder gegenseitig herausgefordert, wobei es Jensens Idee gewesen war, einmal pro Woche baden zu gehen, den ganzen Winter hindurch. Angeblich sollte das gut für die Gesundheit sein. Jensen, der eigentlich immer im Freien baden ging, hatte ihm erzählt, dass er schon lange vorhatte, das auch im
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