Die Melodie des Todes (German Edition)
förmlich auf Felicia Stone, als sie Siri Holms Wohnung betrat. Sie hatte die Tür geöffnet, ohne vorher zu klingeln, obwohl sie inzwischen gelernt hatte, dass hierzulande sogar Freunde klingelten. Aber die junge Bibliothekarin war nicht wie die anderen Norweger. Nachdem Felicia bei der Polizei in Richmond aufgehört hatte und in das eiskalte Norwegen gezogen war, war diese Frau zu ihrer besten Freundin avanciert.
Das Lied, das aus der Wohnung schallte, war von Cornelis Vreeswijk. Siri hatte sich nach einem Film über ihn, der vor Kurzem im Kino gelaufen war, richtiggehend in diesen Mann verliebt. Ihre Begeisterung ging so weit, dass sie sogar ihr Lieb lingsinstrument, die Trompete, für eine Weile beiseite legte und stattdessen begonnen hatte, Gitarre zu lernen.
Felicia hatte das übliche Chaos erwartet und war deshalb überrascht, Siri auf einem leeren Sofa inmitten einer vollständig frei geräumten Wohnung zu sehen. »Was ist denn hier passiert?«, rief sie ihr zu und versuchte, die Musik zu übertönen.
Das Gute an Siri war, dass sie sich zu antworten weigerte, wenn Felicia nicht Norwegisch sprach. Das hatte sie so gehalten, seit Felicia begonnen hatte, Norwegisch zu lernen, und sie hatte auch Odd dazu gebracht, ihrem Beispiel zu folgen. Felicia war ihr dankbar dafür, weil sie deshalb bereits jetzt besser Norwegisch sprach als die meisten Amerikaner, die schon länger in diesem Land lebten.
»Passiert?«, fragte Siri, machte die Musik mit einer Fernbedienung leiser und sah nonchalant von dem Buch auf, das sie las.
»Wo ist die Unordnung?«
»Ach die. Ich habe aufgeräumt«, antwortete sie und las weiter, als wäre das das Selbstverständlichste von der Welt.
»Du? Aufgeräumt?«
»Ich hab einfach ein bisschen Ordnung gebraucht.«
Felicia wusste, dass sie keine weitere Erklärung bekommen würde, ahnte aber, dass Siri sie so weit in ihre Gefühlswelt her eingelassen hatte, wie es ihr möglich war. Vielleicht war das Auf räumen eine verzögerte emotionale Reaktion auf die Ereignisse des letzten Herbstes, als ein sehr guter Kollege und Freund von ihr brutal ermordet worden war.
»Außerdem kriege ich in ein paar Tagen Besuch«, fuhr Siri gleichgültig fort.
»Ach ja, ein Mann?«, fragte Felicia, obgleich sie wusste, dass Siri ihre Wohnung niemals aufräumen würde, bloß weil sie Män nerbesuch bekam.
»Ja, ein Mann«, antwortete sie. »Mein Hauptsponsor wird ein paar Tage bei mir wohnen.«
»Du redest über deinen Vater, hoffe ich?«
»Ja«, sagte Siri und sah an die Zimmerdecke. »Ich rate dir also, dich bis nach dem Wochenende fernzuhalten.«
»Warum? Ist dein Vater keine gute Gesellschaft?«
»Er ist bloß ein bisschen exzentrisch. Mehr sage ich dazu nicht.«
Felicia lachte.
»Was liest du da?«
»Unter die Haut heißt das Buch.«
»Nie gehört. Ist es gut?« Felicia musterte den gelben Umschlag mit dem Totenkopf.
»Ich bin erst auf Seite hundertfünfzig und weiß schon, wer der Mörder ist.«
Felicia wusste, dass Siri sich Notizen zu allen Krimis machte, die sie las, und dabei immer notierte, auf welcher Seite sie den Mörder entlarvt hatte. Nach eigener Aussage hatte sie sich nur sieben Mal geirrt, seit sie vor mehreren hundert Büchern mit diesen Aufzeichnungen begonnen hatte. Neun Mal war es ihr gelungen, den Mörder bereits im ersten Kapitel zu entlarven. Felicia selbst las weniger oft Krimis, doch wenn sie es tat, zog sie Bücher vor, in denen weniger die Suche nach dem Mörder im Vordergrund stand, als vielmehr die Frage, ob es der Polizei gelingen würde, ihn zu überführen. Für sie war das näher an der Wirklichkeit, die sie aus ihrem früheren Job als Detective kannte.
Siri legte das Buch auf den ungewöhnlich leeren Couchtisch, stand auf und ging in die Küche. Felicia bemerkte eine Veränderung, nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch an ihrer Freundin. Was allerdings genau an ihr anders war, konnte sie nicht sagen. Sie wirkte etwas weicher und vielleicht etwas müder als sonst. Siri war vielleicht nicht im klassischen Sinne schön, strahlte aber eine ungeheure Frische und Behändigkeit aus, der die Männer scharenweise verfielen. Heute aber sah sie gar nicht frisch aus.
»Und, was führt dich an einem Montagnachmittag zu mir?«, fragte Siri.
Sie nahm die Teekanne vom Küchentisch. Felicia stellte sich in die Tür.
»Tja, zu Hause passiert mir zu wenig. Odd ist mit diesem Spieldosenmann beschäftigt, wie sie ihn in der Zeitung getauft haben. Es sind jetzt schon Tage
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