Die Melodie des Todes (German Edition)
verdiente, wenn er die Rückzahlung seiner Schulden, die Gehälter für seine Gehilfen und den Polizeiinspektor und die Ausgaben für die Dienststelle abzog. Das war weniger als er seinen Gehilfen zahlte, dabei konnte einer der beiden noch nicht einmal lesen. In Wahrheit lebte der Po lizeimeister der Stadt Trondheim also in Armut. Bei diesen Ein nahmen konnte er nur davon träumen, jemals eine Familie zu gründen.
Die Dienststelle war ein Zimmer mit zwei Schreibtischen, vier Stühlen, einem Regal für die Protokolle und zwei Fenstern zur Straße. Die Wände waren aus rohen Holzbalken. Die Tür ging auf und Torps rundes Gesicht kam zum Vorschein. Seine Kleider waren abgetragen. Torp war ein frommer Mann mit großer Familie, der all sein Geld für seine unzähligen Jungs sparte, damit die auf die Kathedralschule gehen konnten. Bayer mochte ihn aus dem einfachen Grund, weil es partout nichts an ihm gab, was man nicht mögen konnte.
»Die Kutscher wollen nicht mit uns zusammenarbeiten«, sagte Torp.
»Himmel noch mal! Die denken doch wohl nicht noch immer an diese Sache?«
»Ich fürchte schon.«
»Dabei dachte ich, sie wären vergesslicher als die Fliegen an der Wand. Dann werde ich sie wohl auf andere Gedanken bringen müssen. Wo ist mein Stock?«
Bayer stand von seinem Schreibtisch auf und nahm wütend einen Schluck aus seinem Flachmann, den er sich beim Steuer mann in Brattøra mit schlechtem Branntwein hatte auffüllen lassen.
»Verdammtes Pack!«, brummte er. »Wo sind sie gerade?«
»Einige Kutscher stehen in der Munkegata, da wird heute scheinbar ein Essen für die hohen Herren der Stadt gehalten. Ich kenne mich in solchen Sachen ja nicht aus und ich vertraue wirklich voll und ganz auf die Entscheidungen des Herrn Polizeimeisters, aber war es nicht gerade der Stock, der diese unselige Situation heraufbeschworen hat?«, wandte Torp leise ein.
»Ich sage Euch, ich war nur nicht konsequent genug mit diesem Stock. Diesen verfluchten Kutschern fehlt der Respekt! Dieser Fall wird erst gelöst sein, wenn jeder von denen das Siegel der Stadt in die Haut gehämmert bekommen hat. Ah, da ist er ja!«
Bayer stürmte durch den Raum und nahm den Polizeistock, der neben der Tür an der Wand lehnte. Dann warf er sich den Umhang über, ließ den Flachmann in die Tasche gleiten und verschwand nach draußen, ehe Torp noch weitere dümmliche Einwände vorbringen konnte.
Auf der Treppe geriet er ins Stolpern und stürzte mit dem Bauch auf die Bordsteinkante. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Wütend versuchte er aufzustehen, aber er war plötzlich so schrecklich erschöpft und tastete mit den Händen seinen Umhang ab, bis er den Flachmann fand. Er drehte sich langsam auf den Rücken, leerte die Flasche und spürte, wie ihm die Tränen kamen. Diese verfluchten Kutscher, dachte er. Dieser verfluchte Troubadour, diese verfluchten Frauen, ja die ses verfluchte Leben. Er rappelte sich weinend auf und be merkte das Loch vor seinem rechten Knie. Dann nahm er den Stock auf und begann auf den Boden zu schlagen. Er schlug und schlug, bis der Stock vollkommen unbrauchbar war und sich das Polizeiemblem, die Hand mit dem Stadtwappen, löste und über die Straße in den Rinnstein sprang. Dann beugte Bayer sich vor und erbrach sich, bis sein gesamter Mageninhalt als gelbbraune Pfütze auf dem Pflaster lag.
Er ging nicht zurück in die Dienststelle, sondern nach oben in sein Privatzimmer, wo er sich mit dem abgestandenen Wasser des Vortags das Erbrochene vom Mund wusch. Danach füllte er den Nachttopf, leerte ihn durch das Fenster aus und ließ seinen schweren Körper auf das Bett fallen. Nur der Schlaf konnte ihm jetzt noch Frieden bringen.
»Polizeimeister!«
Es konnte nicht mehr als eine Stunde vergangen sein, als Torsten Reutz ihn wieder weckte.
Bayer brummte etwas Unverständliches und richtete sich im Bett auf. Instinktiv tastete er nach seinem Flachmann, erinnerte sich dann aber, dass er ihn geleert hatte.
»Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, mich aus meinen tiefschürfenden Gedanken zu reißen!«, sagte er.
»Es gibt Leute, die meinen, der Kampf für Ruhe und Ord nung sei für einen Polizeimeister wichtiger als Gedankenarbeit«, sagte Reutz frech. Bayer fragte sich immer wieder, wann er ihn entlassen sollte. Dieses Schwein trank noch mehr als er und war in jeder Hinsicht grob und unverschämt. Wenn er nur nicht so effektiv beim Eintreiben der Bußgelder wäre, wenn wieder einmal ein Händler mit den Gewichten
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