Die Melodie des Todes (German Edition)
Polizeistock auf den Boden. »Ich versichere dir, dass meine Avancen bei unserer nächsten Begegnung so locker sitzen werden wie deine Abweisungen.«
Sie lachte. Und dieses Lachen riss ihn innerlich entzwei. Er ging, bevor sie mit dem Reden aufhörte.
Er hatte vergessen, sich die Flasche auffüllen zu lassen und hatte nicht ein einziges Glas getrunken. Jetzt musste er bis Brattøra mit seiner aufsteigenden Übelkeit durchhalten. Er konnte nur hoffen, dass das Bier des Steuermanns wirklich so gut war, wie die Leute es behaupteten.
»Ein rothaariger Troubadour, Jon Blund, ja, der wohnt hier. Aber ich habe ihn seit gestern Vormittag nicht mehr gesehen«, sagte Per Johnsen, der Steuermann, der an Land gegangen und das Wirtshaus eröffnet hatte, wobei er, was seine Kleidung und Körperhygiene betraf, noch immer ganz Seemann war. Es hieß, er würde ohne zu zögern oder sich etwas anmerken zu lassen in seine Hose pinkeln, wenn es hinter dem Tresen zu hektisch zum Austreten war. Entsprechend stank er.
»Der Grund dafür, dass Ihr ihn nicht gesehen habt, ist ganz simpel. Er weilt nicht mehr unter den Lebenden.« Bayer starrte den alten Seebären mürrisch an. Auf dem Weg zum Wirtshaus hatte er zu schwitzen begonnen und war kurzatmig geworden. Und auf der Munkegata war er mit seinen frisch geputzten Stiefeln in einen Haufen Pferdemist getreten, was ihm die Laune noch zusätzlich verhagelt hatte.
»Wie wär’s mit einem Glas Bier? Ich habe erst heute Morgen frische Fässer bekommen«, sagte der Steuermann.
Sein Angebot hellte Bayers Laune beträchtlich auf. Er deutete eine Verbeugung an und nahm dankend an. Kurz darauf bekam er ein Glas, an dem der Schaum nach unten lief. Er trank in einem langen Schluck und spürte, wie sein Magen auflebte und warm wurde.
»Vielleicht eine Rauchwurst dazu? Geht natürlich alles aufs Haus.«
Er kaute zufrieden seine Wurst, während der Steuermann ihm sein Glas noch einmal vollschenkte.
»Ihr sagt also, mein Gast hätte das Zeitliche gesegnet? Das ist ja schrecklich! Wo habt Ihr ihn gefunden?«, fragte Johnsen.
»Am Ufer hinter der Ilsvika.«
»Was hat er denn da draußen gewollt?«
»Das versuche ich ja herauszufinden. Was wisst Ihr über ihn?«
»Nicht viel. Er kam vor einigen Monaten aus Stockholm. Bei sich hatte er nur eine alte Laute, ein paar Taler, die er irgendwo in Jämtland gewonnen hatte, und die Kleider, die er am Leibe trug. Sein Geld ging langsam zur Neige, da ihm in den letzten Tagen das Glück unhold gewesen war. Zwischendurch hat er sich etwas verdient, indem er für die Herrschaften in Ringve gesungen hat.«
Nils Bayer nickte.
»Darf ich sein Zimmer sehen?«
»Er ist ja tot, da wird er kaum noch etwas dagegen haben«, sagte Johnsen mit Brandung in der Stimme.
Der Steuermann ging mit ihm nach oben und schloss die Tür auf. Sie kamen in einen kleinen, zugigen Raum, der das einfache, ruhelose Leben des Mannes widerspiegelte. Es gab nur ein Bett und einen Stuhl, auf den man seine Kleider ablegen konnte. Auf den ersten Blick fielen Nils Bayer zwei Dinge auf: die Kleider des Troubadours waren verschwunden, während seine Laute an der Wand lehnte. Dann fiel sein Blick auf ein Buch auf dem Kopfkissen. Es war im Folioformat mit weichen Deckeln, ein Notizbuch. Er trat ans Bett, nahm es an sich und blätterte darin. Der Inhalt bestand in erster Linie aus Texten und kleineren Satzstücken, gedichteten Versen und eleganten Formulierungen. An manchen Stellen fanden sich auch Noten zwischen den Texten.
Nils Bayer war kein musikalischer Mann, daher konnte er über die Noten wenig sagen, jedoch bemerkte er sehr wohl, dass die Texte nicht ohne Eigenart und Finesse waren und dass der Tote, den er am Morgen untersucht hatte, unzweifelhaft ein Talent für die Kunst der Worte gehabt und eine gewisse Bildung erfahren haben musste.
Besonders ein Lied nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Aus der Einleitung ging hervor, dass es sich um ein ganz besonderes Wiegenlied handelte. Ein Lied nämlich, das jeden, der es hörte, in Schlaf versetzte. In Klammern hatte der Verfasser geschrieben, dass dieses Lied ihm den verdienten Ruhm bringen würde, wenn er nur genug Geld aufbrachte, es endlich drucken zu lassen. Bayer las es von vorn bis hinten durch und musste eingestehen, dass es sowohl poetisch als auch schön und humorvoll war. Ein Text ganz nach seinem Geschmack.
Doch das Notizbuch gab ihm keine Antwort auf die Frage, warum der Troubadour sterben musste. Dieses mystère délicat begann
Weitere Kostenlose Bücher