Die Melodie des Todes (German Edition)
sollen. Be sonders die Mutter. Angst und schlechtes Gewissen, vermischt mit irgendetwas anderem.«
»Und mit was?«
»Schwer zu sagen. Ich glaube aber, es ist ansteckend. Ich spüre es selbst schon irgendwie.«
»Was spürst du? Du drückst dich ziemlich unklar aus.« Felicia wechselte ins Englische, wie immer, wenn sie ungeduldig wurde.
»Irgendein gefährliches Gefühl, konkreter kann ich es nicht in Worte fassen. Ich denke einfach, dass wir es mit einem der Ausnahmen zu tun haben, bei der die Vermissten nicht wieder auftauchen. Und dann ist die Hölle los. Egal, ob die Fälle zusammenhängen oder nicht.«
»Ich weiß«, sagte sie und versuchte, seinen Gedanken zu folgen. »Lass uns trotzdem hoffen, dass es keinen Zusammenhang gibt, denn sonst hätten wir es mit einem Serienmörder zu tun, der nach ungewöhnlich kurzer Zeit schon wieder zugeschlagen hat. Und wir wissen nicht, wann er Julie töten wird oder die Jagd nach einem neuen Opfer beginnt.«
»Danke für die aufmunternden Worte.«
Sie lächelte ihn entwaffnend an.
Es klingelte. Felicia schaltete den Fernseher aus. Michael Winterbottoms The Killer Inside Me verschwand und der Bildschirm wurde schwarz.
»Ich glaube, da kommen wir nie richtig rein«, sagte sie und verschwand auf den Flur, um die Tür zu öffnen. Gleich darauf kam sie mit Siri Holm zurück.
Singsaker begrüßte sie und ging in die Küche, um Tee zu kochen.
Als er zurückkam, waren die beiden Freundinnen in ein Gespräch vertieft. Felicia blickte auf und lächelte:
»Siri hat mir bei meinem Auftrag geholfen. Dieser norwe gische Auswanderer, nach dem ich suche, du weißt schon. An scheinend hat er ein Pseudonym benutzt.«
»Und welches?«
»Jon Blund.«
»Mit anderen Worten, ein müder Geselle.«
Die Frauen lachten angestrengt.
»Dann hat also dieser Jon Blund das Bänkellied geschrieben, aber woher wollt ihr wissen, ob es die gleiche Person ist, die dann in die Staaten ausgewandert ist?«, fragte er.
»Sicher können wir uns da nicht sein. Theoretisch könnte jeder den Liederdruck mit rübergenommen haben. Zum Bei spiel sein Sohn oder jemand, dem das Lied von diesem Jon Blund besonders gefallen hat. Außerdem haben wir nicht mehr als das Pseudonym. Der richtige Name fehlt uns noch immer«, sagte Felicia.
»Am besten ist es sicher, dem Pseudonym zu folgen«, sagte Siri Holm. »Mein Kollege meinte, dieser Name sei auch in einem Polizeibericht aus dem 18. Jahrhundert aufgetaucht. Und zwar hier in der Stadt. Vielleicht bringt uns das ja weiter. Ich habe das mal überprüft, der Bericht ist im Staatsarchiv in Dora archiviert worden. Ich habe ihn im Namen der Bibliothek bestellt.«
Nachdem das geklärt war, tranken sie Tee, und kurz nach elf ging Siri Holm nach Hause.
Anschließend saßen sie auf dem Sofa und sahen sich schweigend an.
Wie habe ich sie nur bekommen?, fragte Singsaker sich und konnte seinen Blick nicht von der weißen Haut unter ihren dunklen Haaren losreißen. Immer wieder stellte er sich solche Fragen, wenn er zu müde war, mit ihr zu schlafen.
Sie sprachen über Lars, seinen Sohn. Lars wohnte in Oslo und hatte zwei Kinder. Felicia hatte ihn und seine Frau so lieb gewonnen, als sie im letzten Jahr zur Kindstaufe des Jüngsten dort gewesen waren, dass sie anschließend noch zweimal alleine hingefahren war. Singsaker freute das. Felicia hatte ihm seinen Sohn näher gebracht als zu Zeiten seiner Ehe mit Lars’ Mutter.
»Ist dir an Siri was aufgefallen?«
»Nein, wieso? Sie hat genauso viel Tee getrunken wie sonst auch.«
»Hat sie nicht ein bisschen zugelegt? Außerdem hatten ihre Wangen irgendwie mehr Farbe.«
»Was meinst du?«
»Hallo, du weißt ganz genau, was ich meine. Schließlich bist du Polizist.«
»Schwanger? Machst du Witze?«, sagte er nach einer kurzen Denkpause. Dann richtete er sich im Sofa auf. Ein wahnsinniger Gedanke schoss durch seinen Kopf. Ein unmöglicher Gedanke. Ein fürchterlicher, zerstörerischer Gedanke.
»Was meinst du, wie weit ist sie?«
»Damit man was sieht, müssen schon drei oder vier Monate vergangen sein, denke ich. Aber das ist von Frau zu Frau unterschiedlich.«
Eine verzweifelte Rechenaufgabe nahm in seinem Kopf Form an. Der Ausgangspunkt dieser Rechnung war ein Tag im Herbst. Mitten in der chaotischen Ermittlung ihres letzten großen Falles, der Palimpsestmorde. Singsakers blitzartige Kalkulation begann mit einem Fehltritt, wie ihn ein Polizist nicht begehen sollte, einem Geheimnis, das keiner Ehe guttat. In einem
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