Die Melodie des Todes (German Edition)
einzige Chance. Um Bismarck konnte sich anschließend die Polizei kümmern. Wenn er überhaupt noch lebt, dachte sie, verdrängte den Gedanken dann aber wieder.
Sie trat ans Fenster und löste die Haken, doch als sie es zu öffnen versuchte, rührte es sich nicht. Dann sah sie die Nagel köpfe im Fensterrahmen. Entschlossen zog sie sich den Pul lover über den Kopf, sodass sie nur in ihrem Sport-BH dastand. Sie wickelte ihn um ihre rechte Hand, ballte die Hand zur Faust und schlug gegen die Scheibe. Das Zeitungspapier zerriss und die Scheibe dahinter zerbrach. Die Scherben fielen aber nicht, wie sie es erwartet hatte, nach hinten.
Es vergingen ein paar Sekunden, bis sie den Grund erkannte. Hinter der zerbrochenen Scheibe war Schnee. Dichter, hoher Schnee. Kein Wunder, dass es dunkel gewesen war, als der Mann das Licht ausgemacht hatte. Sie machte sich Vorwürfe, nicht daran gedacht zu haben. Sie starrte auf den Schnee und versuchte zu ergründen, ob es Tag oder Nacht war. Ihre innere Uhr sagte ihr, dass es später Abend sein musste. Der zweite Abend ihrer Gefangenschaft.
Dann löste sie den Pullover von der Hand. Er hatte sie wie beabsichtigt geschützt. Vorsichtig zog sie die Glassplitter aus dem Stoff und zog ihn wieder an. Aus dem Fensterrahmen ragten noch immer spitze Scherben, die sie nacheinander herauszog. Gleichzeitig sammelte sie das Zeitungspapier und das zerbrochene Glas ein, das im Schnee lag, und legte alles in einem Haufen auf den Boden.
Ich muss hier irgendwie raus, dachte sie. Wenn er kommt und sieht, dass ich mich von den Fesseln befreit habe, weiß ich nicht, was geschieht.
Nachdem sie alle Glassplitter entfernt hatte, begann sie zu graben, aber sie war nicht groß genug. Selbst wenn sie auf Zehenspitzen stand, schaffte sie es nicht, weiter als einen halben Meter tief in den Schnee hinein zu graben. Sie brauchte etwas, worauf sie sich stellen konnte.
Mit unbändigem Ekel ging sie zu dem Eimer, hob ihn hoch, und versuchte, nicht hineinzublicken. Dann kippte sie den Inhalt in die Ecke des Raumes, die am weitesten vom Fenster entfernt war, drehte den leeren Eimer unter dem Fenster auf den Kopf und stellte sich darauf. Jetzt stand sie hoch genug, um richtig graben zu können.
Kurz darauf brachen ihre Hände durch die Schneedecke ins Leere. Sie zog sie zurück und sah durch das Loch, dass es draußen tatsächlich dunkel war. Nur von der Straße fiel et was Licht herüber. Sie grub weiter und vergrößerte das Loch, bis die Öffnung groß genug war, dass sie hindurch klettern konnte.
*
»Macht uns das Schneetreiben wieder alles kaputt?«
Hauptkommissar Odd Singsaker starrte auf den Hund, den Jens Fjellstad, einer der Kollegen der Hundeführereinheit Viktor 3.0 an der Leine hielt. Seit dem Anruf von Elise Edvardsen war weniger als eine Stunde vergangen.
»Nicht, wenn wir schnell sind. Eine Stunde ist nicht viel. Nor malerweise müsste er die Fährte wittern, und abgesehen von dem Schnee gibt es auf einer verwaisten Straße wie der hier kaum störende Luftverunreinigungen.«
Der Hund fand die Blutspur auf dem Markvegen vor dem Haus der Familie Edvardsen, die Grongstad mit einer Plane vor dem Zuschneien geschützt hatte, und lief sofort los. Fjellstad und zwei andere Beamte aus der Hundeführerstaffel folgten ihm.
An der ersten Kreuzung war gerade ein Räumfahrzeug in Richtung des letzten Tatorts gefahren und über den Åsbakken verschwunden. Singsaker fluchte, als er die frischen Spuren sah.
»Ist das ein Problem?«, fragte er besorgt.
Sie durften ihn jetzt nicht verlieren. Der Täter hatte seinen ersten, schweren Fehler begangen und ihnen damit eine Rie senchance gegeben, ihn zu schnappen. Er spürte es. Sie waren ihm so nah, dass Singsaker schon glaubte, ihn riechen zu können.
Fjelstad beruhigte ihn.
»Ein Räumfahrzeug reicht nicht, um den Hund abzulen ken.«
Das Tier hielt an der Kreuzung kurz an, schnupperte und lief Richtung Åsbakken weiter. Kurz darauf blieb der perfekt ausgebildete Schäferhund stehen und wirkte ratlos.
Fjellstad ließ ihn stehen und schnuppern. Dann machte der Hund kehrt und lief zurück zum Markvegen.
»Eine typische T-Bewegung«, erklärte er, als sie wieder nach oben liefen. »Das ist eine sehr viel größere Herausforderung als das Räumfahrzeug. Die Zielperson ist ein Stück weit die Straße nach unten gegangen und dann wieder umgekehrt. Vermut lich ist er dann ein Stück weiter über den Markvegen gelaufen. Wenn er das mehrmals gemacht hat, haben wir ein
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