Die Melodie des Todes (German Edition)
das er mietete, nicht zu ihr, sondern zurück zu seiner Frau. Dort hatte er etwas geschlafen und endlich auch wieder geträumt.
Der Traum brachte ihn auf direktem Weg zurück vor das Haus der Edvardsens. Der Hund lag vor seinen Füßen. In der Einfahrt stand ein Polizeiwagen, aber niemand hatte ihn bemerkt. Er hatte den Blick in den Himmel gerichtet und dort oben wieder den Mann mit der Kapuze gesehen. Dieses Mal hatte er auch kurz seine Augen und in einem davon einen Stern leuchten sehen, klarer als alle Sterne am Himmel. In diesem Moment hatte er verstanden, wer der Mann war, und ihm war vieles über ihn bewusst geworden.
Dann kam der Mann mit der Violine.
Hinter ihm folgte das Grabgefolge mit dem Sarg, aber die ses Mal war er nicht so sicher, dass wirklich sein Vater dar in lag.
Er stand wie gebannt da, als die dunklen Kämpen über den Himmel zogen, und hatte das Gefühl, als fiele die Welt um ihn herum auseinander, als gäbe es nichts mehr, woran er sich festhalten oder an was er glauben konnte. Er betrachtete sich selbst von außen, während er dem Himmelsgefolge zusah und Dinge wahrnahm, die er nicht erklären oder beschreiben konnte. Neue Gestalten folgten dem Sarg. Er wusste nicht, wer sie waren oder wen sie betrauerten. Aber das spielte keine Rolle. Da war auch ein Hund. Und alle waren da oben am Himmel. Ganz am Schluss der Prozession, hinter allen anderen, gingen zwei junge Frauen, die er kannte. Eine von beiden zögerte. Sie machte ein paar Schritte und blieb dann immer wieder stehen, als hätte sie vergessen, was sie wollte. Aus ihrem Mund lief Blut. Die andere, die hinter ihr ging, sah aus, als wollte sie singen. Als sie genau unter dem Mond stand, sah sie ihn an und öffnete den Mund.
Er stand zu Hause im Bad und starrte auf die Gläser mit den Schlaftabletten. Volle Gläser. Leere Versprechen.
Ein Gedanke kam ihm. Er hatte in der letzten Zeit nur zwei Nächte geschlafen. Beide Male, nachdem er jemanden getötet hatte. Erst Silje Rolfsen und jetzt den Hund. Brauchte er dieses Lied wirklich? Nur wenn er Leben nahm, kam diese grenzenlose Ruhe über ihn.
Nein, dachte er. Es ist die Fliege da drinnen, die mir diese Gedanken einpflanzt. Etwas kribbelte auf der Innenseite seines Schädels. Da war sie wieder. Sie lief in seinem Kopf herum. Er fürchtete, dass sie bald wieder zu surren anfing, und er wusste, dass der Traum der letzten Nacht nicht der gewesen war, auf den er wartete. Dieser Traum konnte ihn nicht vor den Albträumen des Tages retten. Das Wiegenlied und die Stimme des Mädchens, dachte er. Dann würde er endlich bekommen, wonach er sich so sehr sehnte.
Er ging ins Wohnzimmer und sah sich das Lied noch einmal an. Es war lange her, dass er begonnen hatte, sich für Bänkellie der zu interessieren. Auch damals hatte er schon einzelne Nächte wach gelegen, dazwischen hatte er aber noch immer schlafen und träumen können. Dann hatte er das Lied Der Güldene Frieden entdeckt, versteckt in einer Archivschachtel in der Gunnerusbibliothek. Er hatte das Versprechen auf der Titelseite gelesen und sofort gewusst, dass darin die Lösung seines Problems lag. Es war aber noch viel Zeit vergangen, bis er es gestohlen, mit nach Hause genommen und verstanden hatte, wie es angewendet werden musste. Erst, als er keine Nacht mehr schlafen konnte, hatte er erkannt, was er tun musste. Es reichte nicht, jemanden zu bitten, ihm das Lied vorzusingen. Weder Anna noch andere. Und es nützte nichts, darum zu flehen, endlich schlafen zu können. Wer fleht und bettelt, kriegt gar nichts.
Jetzt saß er mit dem Originaldruck in den Händen am Wohn zimmertisch. Er hatte vor langer Zeit auf der Arbeit heimlich ein paar Kopien davon gemacht. Eine Zeit lang war er besessen davon gewesen, mehr über die Vorgeschichte des Lieds herauszubekommen, aber da er nach dem ersten Mord nicht mehr selber Nachforschungen anzustellen wagte, hatte er über das Netz Kontakt mit einer Ahnenforscherin aufgenommen und sich für einen Amerikaner ausgegeben, der auf der Suche nach seinen skandinavischen Vorfahren war. In Wirklichkeit wollte er nur, dass die Ahnenforscherin Dinge ermittelte, die er selbst nicht mehr anzugehen wagte. Als sie dann anfing, ihn mit einer Reihe von Folgefragen zu löchern, war ihm endlich klar geworden, was der Mann am Himmel ihm zu sagen versuchte. Hör auf zu suchen. Es ist ohne Bedeutung, wer Jon Blund war. Die Geschichte des Lieds spielt keine Rolle. Das Lied ist der Schlaf. Es muss richtig gesungen werden, als
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