Die Melodie des Todes (German Edition)
Hause gekommen war, war Felicia weg. Auch über ihr Handy konnte er sie nicht erreichen. Es war ausgeschaltet.
Als er am Abend ins Bett ging, hoffte er, dass sie im Laufe der Nacht zurückkommen und zu ihm ins Bett kriechen würde, aber das passierte nicht.
Nicht Felicia weckte ihn am Morgen mit einem der Neunzigerjahrelieder, die sie so gern vor sich hin summte, während sie sich anzog, sondern sein Handy. Wie so oft dachte er, dass er dringend einen anderen Klingelton brauchte. Aber er war nicht mit Handys aufgewachsen, sodass das für ihn immer eine größere Aktion war.
»Singsaker«, meldete er sich und seine Stimme klang wie eine reißende Kontrabasssaite.
»Hier ist Brattberg. Habe ich dich geweckt?«
»Warum bist du um diese Zeit wach?«, fragte er und sah auf den Wecker, der erst in einer ganzen Weile geklingelt hätte.
»Ich bin wie du vom Telefon geweckt worden.«
»Ist was passiert? Gute oder schlechte Nachrichten?«
»Wenn neue Spuren in diesem Fall gute Neuigkeiten sind, dann ja. Anders betrachtet, eher nein.«
»Sag nicht, dass dem Mädchen was zugestoßen ist.«
»Nein, aber wir haben den Hund gefunden. Er hat ihn zu Tode getreten oder geschlagen und ihn vor die Haustür der Edvardsens gelegt. Der Körper war beinahe steifgefroren, als sie ihn heute Morgen gefunden haben.«
»Verdammt. Was ist das nur für ein Kerl?«
»Ich weiß, wie du dich fühlst, Odd«, sagte Brattberg, die im mer genau wusste, wann sie den Vornamen nehmen musste. »Aber versuch, die Gefühle zu Hause zu lassen und komm so schnell es geht in den Markvegen.«
»Okay, Chef.«
Singsaker legte auf und ging in die Küche. An diesem Mor gen brauchte er drei Gläser Rød Aalborg, um einen klaren Kopf zu bekommen. Als er den Hering aß, überkam ihn Wehmut. Felicia hatte ihn selbst eingelegt. Sie hatte einen ganzen Vormittag lang nur für ihn mit den norwegischen Kochbüchern in der Hand in der Küche gestanden und sich mit tränenden Augen mit Heringsfilets und Zwiebeln rumgeschlagen. Sie selbst mochte keinen Hering. Er schaffte es nicht, sich auf den Fall zu konzentrieren. Er dachte nur an sie und suchte nach Argumenten für seine Unschuld, doch so recht wollte ihm das nicht gelingen. Ihre Reaktion war so nachvollziehbar. Sie hatte allen Grund beleidigt und verletzt zu sein. Aber dass sie recht hatte, war doch lange noch kein Grund, jetzt etwas Dummes zu tun. Es lag viele Wochen zurück, dass sie all ihren Mut zusammengenommen und ihm von der Vergewaltigung und den Drogenproblemen erzählt hatte, die sie in der Folge davon in ihrer Jugend gehabt hatte.
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich abhängig war. Im Nach hinein denke ich, dass es eher ein Selbstmordversuch als klassischer Drogenmissbrauch war«, hatte sie ihm gesagt. »Eigentlich will ich das aber auch gar nicht wissen.«
Jetzt ist jedenfalls nicht die Zeit dafür, dachte er, als er aus der Tür trat.
»Verdammt, Felicia!«, murmelte er vor sich hin. »Komm nach Hause!«
24
F elicia Stone war nackt. Jemand hatte ihr Tigerbalsam in die Augen geschmiert und immer wieder einen Amboss auf ihre blasse Stirn geknallt. Entweder das oder sie hatte einen Ka ter, der sich gewaschen hatte.
Sie stierte durch die Flasche, die auf dem Roomservice-Flyer auf dem Nachtschränkchen stand, und sah das Etikett auf der anderen Seite von hinten. Ein paar Farben schimmerten durch das Weiß, aber welche Marke es war, konnte sie nicht erkennen.
Irgendwo hatte sie gehört, dass jeder Alkoholiker ein Ge tränk hatte, das er allen anderen vorzog, und dass man sich nur mit anderem Zeug besoff, wenn man seine eigene Marke nicht bekommen konnte. Wahrscheinlich stammte das wieder nur aus irgendeinem blöden Krimi, dachte sie. Wahre Alkoholiker tranken alles, was sie in die Finger bekamen. Und sie? Was mochte sie am liebsten? Sie drehte die Flasche um und konstatierte, dass es Wodka Smirnoff war, der sich wie Stacheldraht durch ihre Aderwände drückte. Sie richtete sich im Doppelbett auf und stellte erleichtert fest, dass sie allein war, wobei sie keine Ahnung hatte, wie sie allein in Gesellschaft einer leeren Wodka flasche in einem Hotelzimmer gelandet war.
Die Erinnerung kam erst ganz langsam zurück.
Sie hatte sich verliebt, eine Unmenge irrationaler Entscheidungen gefällt und die offensichtlichen Fallgruben übersehen wie die Tatsache, dass der Mann alt genug war, um ihr Vater zu sein, und dass sie aus praktischen Erwägungen bei ihm eingezogen war, ehe sie sich wirklich gut kannten
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