Die Melodie des Todes (German Edition)
Hund durch eigene Grübeleien verdrängt. Egal wie sehr er sie auszuschalten versuchte, sie kamen immer wieder. Das, was zwischen Felicia und ihm vorgefallen war, hatte er einzig und allein sich selbst zuzuschreiben.
Vielleicht war es der schwarze Gürtel gewesen, den Siri Holm die ganze Zeit über getragen hatte, als sie im Spätsommer des letzten Jahres mitten in diesem fieberheißen Albtraum miteinander Sex gehabt hatten. Leichten, luftigen, beinahe schwebenden Sex. Das Ganze hatte etwas Orientalisches gehabt, wie die Umsetzung der Liebeskunst aus einem unbekannten japanischen Kamasutra. Dabei hatte er ununterbrochen an das Schicksal denken müssen. Seit er nach dem Liebesakt in ihrem ver schwitzten Bettzeug in der Asbjørnsens gata eingeschlafen war, hatte er Angst vor den Konsequenzen gehabt. Vor den beruflichen Konsequenzen. Schließlich war Siri in ihrem Fall eine wichtige Zeugin gewesen. Wäre es Brattberg zu Ohren gekom men, dass ihr Lieblingsrekonvaleszent Sex mit einer Zeugin gehabt hatte, hätte er sich nicht damit rausreden können, dass ihn östliche Mystik oder ungeahnte Lebensfreude dazu verleitet hatte. Seltsamerweise hätte ihm eine Suspendierung aber gar nicht so viel bedeutet. Nach der Hirnoperation war ihm der Job bei Weitem nicht mehr so wichtig wie vorher. Was er auch tat, sein lädierter Kopf war überall dabei. Und manchmal erschien ihm dieser Ballast unnötig schwer. So wie heute. Dabei hatte der Fehltritt mit Siri Holm für seine Arbeit gar keine Konsequenzen gehabt. Schlechte Entscheidungen wären keine schlechten Entscheidungen, würden sie nicht zum Problem, wo es wirklich wehtat. Und nachdem er Felicia getroffen hatte, war ihm plötzlich klar gewesen, dass der Verlust seines Jobs nicht die schlimmste aller Perspektiven war. Was vorgefallen war, war so etwas wie eine angekündigte Katastrophe gewesen. Nur dass er die Anzeichen dafür nicht rechtzeitig erkannt hatte.
Als er im Präsidium ankam, hatte Gran überraschende Neuigkeiten.
»Høybråten ist wieder da.«
»Habt ihr etwas gegen ihn gefunden?«, fragte Singsaker und fragte sich, ob ihn das freute. Er wusste es nicht.
»Nicht in der Spieldosensache, leider. Aber Nadia Torp hat gestern all ihren Mut zusammengenommen und sich entschlossen, ihn anzuzeigen. Sie hat ausgesagt, dass er mehrere der Chormädchen unsittlich angefasst hat, und dass er sie einmal abends nach der Probe gebeten hatte, noch zu bleiben und über einen Tisch gelegt hätte. Die Vergewaltigung wurde aber nicht vollendet, weil sie sich losreißen und weglaufen konnte. Für eine Anklage reicht das dicke. Außerdem hat er heute Morgen, nachdem wir ihn geholt haben, Brattberg alles gestanden. Danach ist er zusammengebrochen und hat geweint wie ein kleiner Junge. Übrigens, er hat ganz konkret darum gebeten, mit dir zu sprechen.«
Als Singsaker in den Verhörraum kam, sah er, dass die Pflanze tatsächlich nicht echt war.
Der Professor saß mit seinem Anwalt am Tisch.
Singsaker nahm ihm gegenüber Platz.
»Ich erwarte keine Gegenleistung dafür«, sagte Høybråten. »Und mein Anwalt hat mich bereits darüber informiert, dass die norwegische Polizei keine Rabatte einräumt wie in amerikanischen Filmen.«
»Gibt es etwas, dass Sie uns sagen möchten?«, fragte Singsaker und spürte, dass die plötzliche Anspannung bereits wieder dem matten Gefühl Platz gemacht hatte, das er bereits den ganzen Morgen spürte.
»Ich habe etwas gegen ihn in der Hand und er gegen mich«, sagte Høybråten. »Deshalb habe ich bis jetzt noch nichts gesagt. Ich hatte Angst, er könne das mit den Mädchen an die Öffentlichkeit bringen.«
»Auf was wollen Sie hinaus?«
»Ich weiß, wer den Brief gestohlen hat, der im Gut Ringve gefunden wurde«, antwortete Høybråten. »Der Brief über Jon Blund, der eigentlich in die Gunnerusbibliothek gebracht werden sollte.«
»Davon müssen Sie mir mehr erzählen«, sagte Singsaker.
Und da begann Jan Høybråten zu reden.
26
E r war allein durch das Schneetreiben gelaufen und hatte den ganzen Markvegen für sich allein gehabt. Den Hund hatte er in einem Plastiksack mitgenommen. Es war Nacht. Die Straßen waren verwaist. Es hat nur ihn und den toten, noch warmen Hund gegeben, und während die Schneeflocken auf seinem erhitzten Gesicht schmolzen, war ihm klar geworden, dass er jetzt nur noch einen Weg gehen konnte.
Nachdem er den Hund ausgepackt und auf ihre Treppe gelegt hatte, war er nach Hause gegangen. Nicht in das Haus seiner Kindheit,
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