Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...
versichere Ihnen, dies gelang mir vollkommen. Die Aufregung ob der Ereignisse des Tages, der Abschied von daheim, das Treffen mit Hauptmann Quin, all dies genügte, mein Hirn in einen gehörigen Wirbel zu versetzen – auch ohne den Rotwein, der mich vollends erledigte. Ich träumte nicht von Quins Tod, wie es der eine oder andere Weichling vielleicht getan hätte; überdies habe ich niemals nach einem meiner Ehrenhändel solch törichte Reue empfunden; von Anfang an habe ich immer bedacht, dass ein Gentleman, der
in mannhaftem Kampf sein Leben riskiert, ein Narr sein muss, um sich dann seines Sieges zu schämen. In Carlow schlief ich so gut, wie es besser nicht geht, nahm zum Frühstück einen Becher Dünnbier und einen Toast zu mir und wechselte das erste meiner Goldstücke, um die Rechnung zu begleichen, wobei ich es nicht versäumte, alle Diener großzügig zu entlohnen, wie ein Gentleman es tun sollte. So begann ich den ersten Tag meines Lebens, und so habe ich es seither gehalten. Niemand geriet je in ärgere Bedrängnis als ich und hatte mehr Kargheit, Armut und Mühsal zu ertragen; aber keiner kann von mir sagen, dass ich nicht freigebig mit einer Guinee gewesen wäre, wenn ich eine hatte, und dass ich sie nicht ebenso verständig wie ein Lord ausgegeben hätte.
Zweifel hinsichtlich der Zukunft hatte ich nicht; ein Mann mit meinem Äußeren, meinen Talenten und meinem Mut, glaubte ich, würde überall seinen Weg machen. Außerdem hatte ich zwanzig goldene Guineen in der Tasche, und ich rechnete damit (allerdings irrte ich mich), dass ich mit dieser Summe mindestens vier Monate auskäme, und innerhalb dieser Zeit würde sich schon etwas ergeben, was mir zu Vermögen verhülfe. Also ritt ich weiter, sang
vor mich hin oder plauderte mit den Vorüberziehenden; und alle Mädchen an der Straße sagten: «Gott soll mich schützen, was für ein schneidiger Gentleman!» Was Nora und Castle Brady betrifft, schien zwischen heute und gestern wohl ein halbes Dutzend Jahre zu liegen. Ich schwor, diesen Ort erst wieder als bedeutender Mann aufzusuchen; und diesen Schwur habe ich auch eingehalten, wie Sie zu gegebener Zeit hören werden.
In jener Zeit herrschte auf der Fernstraße des Königs mehr Leben und Getriebe als heutzutage, da Postkutschen 85 einen binnen weniger Dutzend Stunden von einem Ende des Königreichs zum anderen befördern. Leute von Stand ritten die eigenen Pferde oder fuhren in eigenen Kutschen und verwandten drei Tage auf eine Reise, die heute zehn Stunden währt; wer gen Dublin unterwegs war, hatte folglich genug Gesellschaft. Einen Teil der Reise von Carlow nach Naas ritt ich zusammen mit einem gut gerüsteten Gentleman aus Kilkenny; er war ganz in Grün mit einer goldenen Kordel, trug eine Augenklappe und saß auf einer kräftigen Stute. Er fragte nach meinem Befinden und meinem Ziel und ob meine Mutter wegen der Straßenräuber keine Sorge habe, einen so jungen Kerl
wie mich allein reisen zu lassen. Ich jedoch zog eine Pistole aus dem Halfter und sagte, davon hätte ich ein paar Exemplare, die schon gute Dienste geleistet hätten und bereit seien, dies abermals zu tun; in diesem Moment näherte sich uns ein pockennarbiger Mann, mein Begleiter gab seiner Stute die Sporen und verließ mich. Sie war viel kräftiger als mein Reittier, und außerdem wollte ich mein Pferd nicht ermüden, sondern an diesem Abend in reputierlichem Zustand Dublin erreichen.
Als ich nach Kilcullen kam, sah ich eine Menge Landvolk um eine einspännige Kalesche 86 versammelt und meinen Freund in Grün, der – so bildete ich mir ein – eine halbe Meile entfernt bergauf ritt. Ein Diener schrie: «Haltet den Dieb», so laut er konnte, aber das Landvolk lachte nur über sein Ungemach und machte allerlei Scherze über das Abenteuer, das sich eben ereignet hatte.
«Du hättest ihn dir doch bestimmt mit deinem Schießprügel vom Hals halten können!», sagte einer.
«Ach, so ein Feigling! Dich vom Hauptmann schlagen zu lassen, und dabei hat er doch bloß ein Auge!», rief ein anderer.
«Wenn Mylady das nächste Mal reist, dann
lässt sie dich wohl besser zu Hause!», sagte ein Dritter.
«Was ist das für ein Lärm, ihr Leute?», sagte ich, als ich sie erreichte; und da ich in der Kalesche eine ganz blasse und erschrockene Dame sitzen sah, ließ ich meine Peitsche knallen und befahl den Bauerntölpeln, Abstand zu halten. «Was ist geschehen, Madam, was Sie so beunruhigt hat?», fragte ich; dabei zog ich den Hut und ließ
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